Wie berechenbar ist das Wetter?

Zwar liegt die Wettervorhersage auch heute ab und an noch daneben, generell hat sich auf dem Gebiet in den vergangenen Jahrzehnten aber viel getan. Was die Zukunft noch bringen könnte, haben wir den Meteorologen Thomas Birner von der LMU München gefragt.

Sebastian Hollstein

Auf dem Foto ist ein Mann mit einem aufgespannten Schirm von hinten zu sehen, der bei Regenwetter über eine Brücke läuft.

Chalabala/iStock

Kurz gefasst

  • In unseren Breiten lässt sich die allgemeine Wetterlage derzeit für sieben bis zehn Tage gut vorhersagen
  • Grundlage für eine zuverlässige Wettervorhersage sind genaue und umfassende Beobachtungsdaten sowie möglichst präzise Wettermodelle für die Berechnung am Computer
  • In Zukunft dürfte bei der Wettervorhersage neben den klassischen Methoden auch Künstliche Intelligenz zum Einsatz kommen

Welt der Physik: Herr Birner, wenn Sie für eine Woche verreisen, verlassen Sie sich dann für diese Zeitspanne voll und ganz auf die Wettervorhersage?

Thomas Birner: „Für eine ganze Woche wahrscheinlich nicht, aber für einige Tage vertraue ich der Wettervorhersage größtenteils und bereite mich auf die allgemeine Witterung vor, die sie ankündigt. Das bedeutet für mich aber auch, dass ich – etwa im Sommer – schon mal mit lokalen Gewittern rechnen muss, die sich nicht so ganz genau auf Ort und Uhrzeit festlegen lassen.“

Wenn man einmal von Gewittern absieht – für welchen Zeitraum lässt sich das Wetter derzeit zuverlässig vorhersagen?

„Das hängt extrem davon ab, was ich genau vorhersagen will. Die Vorhersagezentren konzentrieren sich vor allem auf die großräumigen Muster, also auf die Position und die Stärke von Hoch- und Tiefdruckgebieten. Bis zu einer Woche lassen sich dafür relativ gesicherte Aussagen treffen. Wenn man solche Entwicklungen allerdings zehn Tage oder mehr im Voraus berechnen will, dann könnte man, salopp gesagt, auch würfeln.“

Auf welche Faktoren schauen Meteorologinnen und Meteorologen besonders, wenn sie das Wetter in den kommenden Tagen berechnen wollen?

„Voraussetzung für eine gute Vorhersage sind gesicherte Informationen über den Anfangszustand. Nur wenn ich die Ausgangssituation gut kenne, kann ich berechnen, wohin sich das Wetter entwickelt. Hierbei spielen vor allem Variablen wie Temperatur, Druck, Luftfeuchtigkeit, Wolkenbedeckung, Wind und großräumige Zirkulations- und Strömungsmuster – wie etwa die Position und Stärke der Jetstreams, also der Starkwindbänder in den oberen Atmosphärenschichten – eine wichtige Rolle. Außerdem nehmen wir Randbedingungen in den Blick, beispielsweise die Beschaffenheit der Landoberfläche, die Vegetation und die Temperatur der Ozeane.

Zum anderen brauchen wir gute Modelle für die Berechnung am Computer. Denn die im Wettersystem ablaufenden Prozesse sind sehr komplex und sie im Computer realitätsnah zu beschreiben, ist keine einfache Aufgabe.“


Zur Person

Thomas Birner ist Professor am Meteorologischen Institut der LMU München. Seine Forschungsinteressen umfassen Atmosphären- und Klimadynamik, die allgemeine Zirkulation und insbesondere die Dynamik des gekoppelten Troposphären-Stratosphären-Systems.

Warum lässt sich das Wetter heute verlässlicher vorhersagen als noch vor einigen Jahrzehnten?

„Grundlage für eine zuverlässige Wettervorhersage sind genaue und umfassende Beobachtungsdaten – und das Netzwerk, um diese zu erheben, hat sich in den zurückliegenden Jahrzehnten unheimlich verbessert. Seit 1979 werden wir mit immer mehr Satellitendaten versorgt. Damit brach eine neue Ära für die Meteorologie an. Außerdem sind die Computer, auf denen die Vorhersageberechnungen stattfinden, immer leistungsfähiger geworden. Nach jedem vergangenen Jahrzehnt ließ sich das Wetter dadurch um einen weiteren Tag verlässlich vorhersagen.“

Gehen Sie davon aus, dass sich dieser Trend auch in den kommenden Jahrzehnten fortsetzen wird?

„Zunächst vielleicht schon, aber es gibt auf jeden Fall ein intrinsisches Limit, das die Berechnungen immer begrenzen wird. Aktuell nehmen wir an, dass die Grenze bei etwa drei bis maximal vier Wochen liegt. Darüber hinaus muss man dann auf andere Variablen schauen und andere Fragen stellen, also beispielsweise nicht mehr wo genau ein Tiefdruckgebiet entsteht, sondern eher wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass es ein Tief an einer bestimmten Position geben könnte. Daraus lassen sich aber keine genauen Vorhersagen auf das konkrete Wetter an einzelnen Tagen ableiten.“

Werden denn heute noch neue Phänomene entdeckt, die das Wetter beeinflussen?

„Ja, vor allem auf längeren Zeitskalen. In der Stratosphäre wurden beispielsweise Zirkulationsereignisse gefunden, die Wettervorhersagen für Zeiträume von zwei Wochen bis zwei Monaten in der Zukunft beeinflussen. Von solchen sogenannten plötzlichen Stratosphärenerwärmungen kann ich zwar keine Informationen über die genaue Position von Hoch- oder Tiefdruckgebieten ableiten, aber ich kann unter anderem feststellen, dass die Wahrscheinlichkeit für bestimmte Hochdruckwetterlagen und damit verbundene Kälteeinbrüche über Europa erhöht ist.“

Welche Rolle spielt eigentlich der Zufall bei der Wettervorhersage?

„Genau genommen gibt es diesen nicht. Alles hängt davon ab, wie gut wir den Anfangszustand kennen. Das Wetter entsteht im System eines sogenannten deterministischen Chaos’. Das heißt, schon die kleinste Änderung am Anfang kann große Veränderungen im Endzustand, den ich vorhersagen möchte, bewirken. Wenn ich den Anfangszustand allerdings exakt kennen würde, könnte ich auch das Ergebnis exakt voraussagen.

Deshalb berechnen die Wettermodelle nicht nur eine, sondern sehr viele Wettervorhersagen – die jeweils von leicht veränderten Anfangszuständen ausgehen. Man variiert dafür einzelne Parameter und erzeugt auf diese Weise viele mögliche Ergebnisse. Am wahrscheinlichsten tritt meist der Mittelwert aller Lösungen ein. Gleichzeitig ist die Streuung der verschiedenen Resultate ein gutes Maß für die Unsicherheit einer Vorhersage: Je weiter die Werte streuen – etwa nach zehn Tagen – desto unsicherer ist meine Prognose.

Wir haben in unserer jüngsten Forschung festgestellt, dass bestimmte Anfangszustände mehr und andere weniger Unsicherheit erzeugen. Um das herauszufinden, nutzen wir auch sogenannte Nachhersagen: Dabei vergleicht man frühere Vorhersagen mit den tatsächlich eingetretenen Bedingungen.“

Koordinatensystem, auf dessen x-Achse eine Zeitspanne von 7 bis 14 Tagen und auf dessen y-Achse eine Temperaturskala von plus 4 Grad Celsius bis minus 16 Grad Celsius angegeben ist. Mehrere Graphen geben unterschiedliche Verläufe der Temperaturentwicklung an. Sie gehen zwar alle von einem Punkt bei ungefähr plus 2 Grad Celsius aus, verlaufen dann aber ganz unterschiedlich. Die Grafik stellt die Überschneidungen der Graphen sehr flächig dar. In der Mitte dieser Fläche stellt eine schwarze Linie den Mittelwert des vorhergesagten Temperaturverlaufs deutlich heraus, der erst steigt bis auf plus 4 Grad Celsius und sich dann etwa ab Tag sieben bei minus 4 Grad Celsius einpegelt.

Ensemblevorhersage der Temperatur für München

 

Hat der Klimawandel einen Einfluss darauf, wie gut das Wetter vorhersagbar ist?

„Wir haben zwar noch nicht ausreichend verstanden, welche Folgen der Klimawandel auf das Wetter hat. Auf die Wettervorhersage selbst aber hat er höchstwahrscheinlich kaum Auswirkungen. Mit einer Einschränkung: Phänomene wie beispielsweise Starkniederschlagsereignisse, die sich mitunter auch heute schon schwerer vorhersagen lassen, werden vermutlich zunehmen. Und das führt dazu, dass die mit diesen Phänomenen verbundenen Unsicherheitsfaktoren für die Vorhersage ebenfalls zunehmen.“

Muster erkennen und auswerten sind wesentliche Aufgaben von Wettermodellen – und eine Qualität von Künstlicher Intelligenz. Kann KI auch das Wetter vorhersagen?

„Das tut sie bereits. Da findet seit knapp zwei Jahren so etwas wie eine Revolution statt. Private Anbieter, beispielsweise große Techfirmen, lassen das Wetter von KI-Modellen berechnen und sind dabei teilweise besser als konventionelle Modelle. Allerdings liegt das vor allem daran, dass die Datengrundlage, mit denen die Künstliche Intelligenz trainiert wird, so hervorragend ist. Denn die KI berechnet das Wetter nicht anhand physikalischer Gesetze, sondern leitet auf Grundlage früherer Daten gewisse Wahrscheinlichkeiten ab.

Elementar für die Genauigkeit der KI ist derzeit also auch die klassische Wettervorhersage, mit der frühere Daten erzeugt wurden – fällt diese weg, fehlen der KI möglicherweise wichtige Trainingsdaten. Die Zukunft gehört wahrscheinlich sogenannten Hybridmodellen, in denen Teile der Wettervorhersage von KI berechnet und dann mit klassischen Methoden kombiniert werden.“


Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/hinter-den-dingen/wetter-vorhersage-prognose/