Wie entstehen Polarlichter?
Rainer Kayser und Redaktion
Wallende Vorhänge, schwebende Bögen und flackernde Bänder aus grünem, rotem und blauem Licht – diese und andere farbenprächtige Leuchterscheinungen am Nachthimmel gehen auf ein komplexes Wechselspiel zwischen dem Magnetfeld der Erde und elektrisch geladenen Teilchen von der Sonne zurück.
Zahlreiche Reiseveranstalter bieten Kreuzfahrten in nördliche und südliche Gefilde an und werben dafür oft mit imposanten Fotos von Polarlichtern. Das führt natürlich zu hohen Erwartungen – die häufig leider enttäuscht werden. Denn das menschliche Auge kann mit der Lichtempfindlichkeit einer elektronischen Kamera nicht mithalten. Und zudem sind nachts, wie ein Sprichwort sagt, alle Katzen grau: Bei schwachen Lichtverhältnissen sehen wir eher Grautöne als Farben.
Vom farbenprächtigen Schauspiel bleibt so oft nur ein schwacher grauer Schimmer, kaum von Wolken zu unterscheiden. Lediglich die eigentümliche Bewegung des Leuchtens am Himmel verrät den wahren Charakter. Helle Polarlichter, bei denen grüne, rote und blaue Farbtöne leicht zu erkennen sind, bilden eher die Ausnahme. Hervorgerufen werden die Leuchterscheinungen – ob stark oder schwach – durch elektrisch geladene Teilchen aus dem Weltraum. Dabei handelt es sich vor allem um Elektronen und Protonen von unserer Sonne, die in die Erdatmosphäre gelangen, dort auf Gasmoleküle prallen und diese zum Leuchten anregen. Soweit die einfache Erklärung. Tatsächlich ist der ganze Vorgang erheblich komplexer.
Magnetischer Schutzschild
Das Magnetfeld der Erde lenkt die aus dem All einprasselnden Teilchen nämlich ab und verhindert dadurch, dass sie direkt in die Atmosphäre eindringen. Gleichzeitig deformiert der stetige Teilchenstrom von der Sonne das Erdmagnetfeld: Auf der Tagseite wird es zusammengepresst, während sich auf der Nachtseite ein ausgedehnter Schweif bildet. Dieses komplizierte Wechselspiel zwischen Sonnenwind und Erdmagnetfeld ist bisher zwar noch nicht im Detail verstanden. Klar ist aber, dass der magnetische Schutzschild unseres Planeten – die Magnetosphäre – an manchen Stellen schwächelt. Nahe der magnetischen Pole etwa, wo die Feldlinien aus dem Erdinneren austreten und sich zur Tag- oder zur Nachseite biegen, können nahezu ungehindert Partikel einströmen. Das ruft in der Polarkappenregion eine schwache Leuchterscheinung hervor, polares Glühen genannt.
Zudem ist die Magnetosphäre kein statisches Gebilde, sondern ständig in Bewegung – das gilt insbesondere für den „flatternden“ Schweif, der Millionen von Kilometer ins All hinausreicht. Durch verschiedene Prozesse können auch hier Teilchen des Sonnenwinds in die magnetische Schutzhülle eindringen. Sie sammeln sich in einer mit Elektronen und elektrisch geladenen Atomen gefüllten Region an, die als Plasmaschicht bezeichnet wird. Von hier werden die Sonnenwindteilchen – überwiegend Elektronen – entlang der magnetischen Feldlinien beschleunigt, strömen auf Spiralbahnen von der Nachtseite aus auf die Erde zu und erreichen schließlich die Atmosphäre.
Leuchtende Atome und Moleküle
In der Lufthülle unseres Planeten angekommen, treffen die energiereichen Teilchen auf die dort vorhandenen Moleküle und Atome. Bei Zusammenstößen können die Elektronen des Sonnenwinds nun Energie auf die Gasteilchen in der Atmosphäre übertragen. Diese zusätzliche Energie setzen die Moleküle und Atome dann nach kurzer Zeit wieder frei – in Form von Licht. Die dominierende Farbe von Polarlichtern, ein Grünton mit einer Wellenlänge von 557,7 Nanometern, stammt beispielsweise von Sauerstoffatomen in einer Höhe von etwa hundert Kilometern. Sehr energiereiche Elektronen können noch etwas tiefer in die Atmosphäre eindringen und dort Stickstoffmoleküle anregen, die dann in verschiedenen blau-violetten Farben leuchten.
Seltener lässt sich rotes Licht mit einer Wellenlänge von 630 Nanometern beobachten. Es entsteht, wenn Sonnenwindteilchen in einer Höhe von etwa dreihundert Kilometern mit Sauerstoffatomen kollidieren. Der in die Erdatmosphäre einfallende Teilchenstrom variiert sowohl zeitlich als auch räumlich, was die verschiedenen Formen und Muster von Polarlichtern erklärt. Beobachten lassen sich die Leuchterscheinungen in fast jeder klaren Nacht – vorausgesetzt man befindet sich im Bereich des Polarlichtovals. Denn tatsächlich findet das Schauspiel nicht direkt über den Polen statt.
Der Grund hierfür: Die in die Plasmaschicht reichenden Feldlinien gehen nicht direkt von den magnetischen Polen aus, sondern aus geomagnetischen Breiten zwischen 70 und 80 Grad. Durch die Erddrehung wird das eigentlich ringförmige Gebiet um die Pole herum zu einem Oval gestaucht. Auf der Nordhalbkugel zieht sich dieses Polarlichtoval über Alaska, Kanada, Grönland, Island, Norwegen, Finnland und Sibirien. Das südliche Polarlichtoval liegt dagegen fast ausschließlich über dem antarktischen Kontinent. Doch mitunter sind Polarlichter auch weit außerhalb dieser Regionen zu sehen – selbst vom Mittelmeer und aus den Südstaaten der USA wurden schon Nordlichter gemeldet. Und auch von Deutschland aus sind manchmal Nordlichter sichtbar.
Geomagnetischer Sturm
Denn der Sonnenwind wächst mitunter zu einem Sturm an und rüttelt die Magnetosphäre kräftig durch. Die Magnetfeldlinien im Schweif verbiegen sich dadurch stärker als üblich und das Polarlichtoval kann sich gen Äquator ausdehnen. Ursache für einen solchen „geomagnetischen Sturm“ sind explosive Ereignisse auf der Sonne: Heftige Eruptionen schleudern gewaltige Gasmassen ins All hinaus. Treffen die elektrisch geladenen Teilchen eines solchen koronalen Massenauswurfs auf die Erde – je nach Geschwindigkeit benötigen sie für die 150 Millionen Kilometer lange Strecke zwischen 18 und 36 Stunden –, treten besonders intensive Polarlichter auf, die im Fall von Nordlichtern noch weit im Süden sichtbar sein können.
Die Aktivität der Sonne schwankt in einem etwa elfjährigen Zyklus. Das nächste Maximum erwarten Astronominnen und Astronomen für das Jahr 2025. In den kommenden Jahren sind also häufiger Sonneneruptionen und Materieauswürfe zu erwarten – und damit auch Polarlichter, die sich von Deutschland aus beobachten lassen. Diese Aussicht mag zwar erfreulich sein. Doch geomagnetische Stürme stellen auch eine erhebliche Gefahr für unsere hoch technisierte Zivilisation dar. Der historisch überliefert stärkste Sonnensturm traf am 1. September 1859 die Erde. Damals waren Polarlichter in Italien, auf Kuba und auf Hawaii zu sehen – und es brachen auf der ganzen Welt die noch neuen Telegrafennetze zusammen.
Vorhersage des Weltraumwetters
Ein vergleichbarer Sturm dürfte heute Schäden in Höhe von vielen Milliarden Euro verursachen, schätzen Expertinnen und Experten. Betroffen wären beispielsweise unsere Kommunikations- und Navigationsnetze. Denn dafür sind Satelliten unabdingbar, deren elektrische Schaltkreise weder den energiereichen Teilchen aus dem All noch den schnellen und intensiven Schwankungen des Erdmagnetfelds unbegrenzt standhalten. Auch großräumige Ausfälle von Stromnetzen sind möglich. Stärke und Orientierung des irdischen Magnetfelds ändern sich während eines geomagnetischen Sturms nämlich schnell, wodurch hohe Spannungen in Stromleitungen induziert und Transformatoren zerstört werden können. Darüber hinaus heizen starke Teilchenströme von der Sonne die äußere Erdatmosphäre auf, sodass sie sich aufbläht. Die Folge: Selbst in Höhen von einigen Hundert Kilometern werden Satelliten plötzlich durch Luftreibung abgebremst oder gar zum Absturz gebracht. Auf diese Weise verlor das Unternehmen SpaceX kürzlich vierzig Starlink-Satelliten.
So schön Polarlichter auch anzusehen sind – sie sind nur ein Randphänomen der komplexen Wechselwirkung zwischen Sonnenwind und Erde. Da das „Weltraumwetter“ für unsere moderne Gesellschaft durchaus bedrohliche Folgen haben kann, arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in aller Welt an einer entsprechenden Prognose. Insbesondere die gewaltigen Massenauswürfe der Sonne wollen sie möglichst frühzeitig vorhersagen. Bislang beträgt die Vorwarnzeit für geomagnetische Stürme maximal anderthalb Tage. Die europäische Weltraumorganisation ESA plant für 2027 den Start der Vigil-Mission, mit der sich diese Zeitspanne auf mehrere Tage erhöhen soll. Das, so die Hoffnung, dürfte dann ausreichen, um zumindest einen Teil der technischen Infrastruktur vor den schlimmsten Auswirkungen zu schützen.
Auswirkungen eines koronalen Massenauswurfs auf die Magnetosphäre
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Polarlichter knistern und knacken
Lange Zeit galten Berichte von knisternden oder knackenden Geräuschen, die Polarlichter begleiten, als folkloristische Märchen. Schließlich treten die Leuchterscheinungen in großer Höhe auf – wie sollten Töne von dort oben noch auf dem Erdboden hörbar sein? Doch 2012 ließen sich solche Geräusche mithilfe empfindlicher akustischer Messgeräte tatsächlich nachweisen. Sie stammen allerdings aus einer sehr viel geringeren Höhe.
In dieser Region, nur 70 bis 100 Meter über dem Erdboden, bilden sich typischerweise sogenannte Inversionsschichten, in denen die Temperatur mit der Höhe zu- statt wie sonst üblich abnimmt. Solche Schichten trennen positive Ladungen in größeren Höhen von negativen Ladungen unter der Inversionsschicht. Mit Polarlichtern einhergehende Schwankungen im Erdmagnetfeld können diese Trennung aufheben und zu elektrischen Entladungen führen, die dann als knisternde und knackende Geräusche zu hören sind. Polarlichter kann man also nicht nur sehen, sondern auch hören.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/hinter-den-dingen/wie-entstehen-polarlichter-nordlichter/