Wie entsteht eine Fata Morgana?

Rainer Kayser und Redaktion

Das Foto zeigt eine gerade und von Bäumen gesäumte Straße. In der Ferne scheint der Asphalt von Wasser bedeckt zu sein.

cturtletrax/iStock

Wenn in der Ferne plötzlich eine flimmernde Wasserfläche auftaucht, sollte man seinen Augen nicht unbedingt trauen – vielleicht handelt es sich um eine Luftspiegelung.

Auf einer Landstraße taucht an einem heißen Sommertag weit voraus eine Wasserfläche auf. Doch je näher man ihr kommt, desto kleiner wird sie – bis sie schließlich gänzlich verschwindet. Ein Löffel im Wasserglas hat scheinbar einen Knick. Und Sterne stehen, vom Erdboden betrachtet, ein klein wenig höher am Himmel als es ihrer tatsächlichen Position entspricht. Ursache für diese drei sehr unterschiedlichen Phänomene ist ein grundlegender optischer Effekt: die Lichtbrechung.

Brechung von Licht

In einem homogenen, also gleichförmigem, Medium und fernab starker Gravitationsfelder bewegen sich Lichtstrahlen entlang einer geraden Linie. Treten die elektromagnetischen Wellen allerdings in ein neues Medium ein, also etwa von Luft in Wasser, weichen sie anschließend meist vom ursprünglichen Kurs ab.

Das Foto zeigt ein Glas, das bis zur Hälfte mit Wasser gefüllt ist und in dem ein Löffel zu sehen ist. An der Grenzfläche zwischen Wasser und Luft scheint der Löffel abgeknickt zu sein.

Brechung im Wasserglas

Denn mit dem Übergang in das neue Medium ändert sich die Lichtgeschwindigkeit: Während sich elektromagnetische Wellen im luftleeren Raum mit knapp 300 000 Kilometern pro Stunde fortbewegen, breiten sie sich in jedem anderen Medium etwas langsamer aus – und das beeinflusst den Weg, den das Licht nimmt. Das Verhältnis von Vakuumlichtgeschwindigkeit zur tatsächlichen Ausbreitungsgeschwindigkeit wird als Brechungsindex bezeichnet und ist maßgebend für die optischen Eigenschaften eines Materials.

Luft und Wasser haben einen unterschiedlichen Brechungsindex, was den scheinbar abgeknickten Löffel erklärt. Das Licht, welches uns vom Material unterhalb der Wasseroberfläche erreicht, kommt aus einer anderen Richtung als das vom Griff oberhalb der Wasseroberfläche – und das gaukelt uns einen Knick im Löffel vor. Doch nicht nur an solchen Übergängen wird das Licht gebrochen, breitet sich also nicht mehr geradlinig aus. So ist etwa die Luft um uns herum kein homogenes Medium. Ihre Dichte nimmt üblicherweise nach oben hin ab. Dadurch ändert sich der Brechungsindex stetig und damit auch die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichts. Die Folge ist ein gekrümmter Strahlengang.

Astronomische Refraktion und Luftspiegelung

Bemerkbar macht sich dieser Effekt beispielsweise beim Blick in den Nachthimmel. Vom Erdboden aus betrachtet stehen die Sterne nämlich ein klein wenig höher am Himmel als sie es tatsächlich tun. Am Horizont beträgt diese Abweichung etwa 0,6 Grad. Auch der uns nächste Stern ist von diesem als astronomischen Refraktion bezeichneten Phänomen betroffen: Wenn wir die Sonne abends gerade noch am Horizont sehen, ist sie eigentlich schon untergegangen.

Die Dichte der Luft hängt nicht nur von der Höhe über dem Erdboden ab, sondern auch von der Temperatur. Je nach Wetterlage können sich über dem Erdboden mehrere Luftschichten unterschiedlicher Temperatur bilden und die Ausbreitung von Licht beeinflussen. Und damit kommen wir zurück zur Landstraße an einem heißen Sommertag. Über dem von der Sonne erwärmten Asphalt bildet sich eine Schicht warmer Luft, die eine geringere Dichte besitzt als die kühlere Luft darüber.

Die Illustration zeigt eine Person auf einer Straße an einem sonnigen Tag. Eingezeichnet ist der Weg des Lichts, dass durch eine Luftspiegelung vom Himmel in das Auge der Person umgelenkt wird.

Lichtwege bei einer Fata Morgana

Beim Übergang von den kühleren in die wärmeren Luftschichten ändert sich die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichts und es wird abgelenkt. Dadurch werden Lichtstrahlen vom Himmel teilweise so stark umgelenkt, dass sie nicht auf den heißen Asphalt treffen, sondern in unsere Augen. Der Himmel spiegelt sich also gewissermaßen an den Luftschichtengrenzen – und anstelle der Straße sehen wir scheinbar eine Wasserfläche. Es handelt sich um eine Luftspiegelung, auch Fata Morgana genannt.

Schwebende und kopfstehende Schiffe

Interessant ist auch die umgekehrte Situation – wenn warme über kalten Luftschichten stehen. Dazu kommt es insbesondere über kühlem Wasser oder Eis, also beispielsweise in arktischen Regionen. Treten Lichtstrahlen durch diese Schichten, werden sie nicht nach oben, sondern nach unten gebogen. Auf diese Weise lassen sich mitunter Schiffe sehen, die sich eigentlich hinter dem Horizont befinden.

Das Foto zeigt ein Meer in der Abenddämmerung. Am Horizont ist ein Schiff zu erkennen, dass durch eine Luftspiegelung noch einmal auf dem Kopf stehend über dem eigentlichen Schiff zu sehen ist.

Fata Morgana auf hoher See

Manche dieser Schiffe scheinen sogar über dem Wasser zu schweben. Die Abbilder der Schiffe können dabei stark verzerrt und vertikal vergrößert sein. Durch die Bewegung der Luftschichten ändern sie zudem meist laufend ihre Form. Noch erstaunlichere Erscheinungen sind möglich, wenn eine Schicht kühler Luft zwischen zwei warmen Luftschichten eingebettet ist.

Denn am Übergang von kalter zu warmer Luft werden Lichtstrahlen nach unten abgelenkt, am Übergang von warmer zu kalter Luft dagegen nach oben. Dadurch wirkt die kühle Luftschicht wie ein Lichtleiter und selbst weit entfernte Objekte können als Luftspiegelung über dem Horizont erscheinen – sowohl aufrecht als auch auf dem Kopf stehend. Manchmal gelangen von ein und demselben Objekt ausgehende Lichtstrahlen sogar auf unterschiedlichen Wegen zum Beobachter, sodass in der Ferne mehrere Abbilder übereinander auftauchen. So sind bei Luftspiegelungen ganze „Türme“ abwechselnd aufrecht und auf dem Kopf stehender Bilder möglich.

Inseln, die es gar nicht gibt

Derartige Luftspiegelungen führten im 18. und 19. Jahrhundert vermutlich zur vermeintlichen Entdeckung zahlreicher Inseln – insbesondere in arktischen und antarktischen Gewässern –, deren Existenz sich durch spätere Expeditionen nicht bestätigen ließ. Ein Beispiel ist das Sannikow-Land, das Jakow Sannikows und Mathias von Hedenström gesichtet haben wollten, als sie von 1808 bis 1810 die Neusibirischen Inseln kartografierten. Im Jahr 1886 bestätigte Freiherr Eduard Gustav von Toll zwar die angebliche Insel im Nordpolarmeer. Doch spätere Expeditionen fanden keine Spur vom Sannikow-Land. Möglicherweise handelte es sich um eine Luftspiegelung der Bennett-Insel, die zum Neusibirischen Archipel gehört.

Der Begriff „Fata Morgana“ stammt übrigens aus dem Italienischen und steht für Morgan le Fay, die Fee Morgana der Artus-Sage. In der Straße von Medina zwischen dem italienischen Festland und Sizilien kommt es häufig zu ausgeprägten Luftspiegelungen, die bisweilen täuschend echte Inseln am Horizont erscheinen lassen. Manchen Legenden zufolge lockte die böse Morgana mit solchen falschen Eilanden zahlreiche Seeleute in den Tod. Ein düsterer Name also für dieses schöne Naturphänomen.


Mit Lichtgeschwindigkeit – mal schneller, mal langsamer

Zwar ist die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum konstant. In einem Medium jedoch bewegt sich das Licht durch die Wechselwirkung mit der Materie langsamer. Das Verhältnis von der Lichtgeschwindigkeit im Vakuum zur Lichtgeschwindigkeit in dem betrachteten Medium wird in der Physik als Brechungsindex bezeichnet. Für Wasser ergibt sich bei 20 Grad Celsius ein Wert von 1,333, während beispielsweise die Luft am Erdboden bei null Grad Celsius eine Brechzahl von 1,0003 aufweist. Strenggenommen gelten diese Werte allerdings nur für eine Wellenlänge von 589 Nanometern, was gelblichem Licht entspricht. Denn der Brechungsindex hängt auch von der Wellenlänge beziehungsweise Frequenz des Lichts ab.

Die Grafik zeigt, wie ein Lichtstrahl abgelenkt wird, wenn er von einem Medium in ein anderes tritt.

Snelliussches Brechungsgesetz

Für Luftspiegelungen ist dieser Effekt jedoch vernachlässigbar. Zentral ist hier die unterschiedliche Ausbreitungsgeschwindigkeit von elektromagnetischen Wellen in verschiedenen Medien. Denn wenn die Lichtgeschwindigkeit kleiner ist, benötigt das Licht länger, um eine bestimmte Wegstrecke zurückzulegen. Gemäß dem Fermatschen Prinzip wählt Licht zwischen zwei Punkten stets den Weg, für den es am wenigsten Zeit benötigt. Daraus lässt sich das bekannte Snelliussche Brechungsgesetz herleiten, das die Ablenkung eines Lichtstrahls am Übergang zwischen zwei homogenen Medien beschreibt. Der Brechungswinkel ist demnach stets so, dass die Laufzeit des Lichts minimal ist.

Für inhomogene Medien – wie im Fall von mehreren Luftschichten unterschiedlicher Temperatur und Dichte – gestaltet sich die Berechnung des Lichtwegs zwar komplizierter. Aber das Prinzip bleibt das gleiche: Das Licht nimmt jeweils den Weg, für den es am wenigsten Zeit benötigt. Und das kann zu Luftspiegelungen führen. In einigen Situationen lassen sich aber auch mehrere Wege finden, die lokal jeweils ein Minimum darstellen. In einem solchen Fall erzeugt tatsächlich jedes lokale Minimum ein Bild. Wir sehen ferne Objekte also mehrfach.

Aber auch ganz ohne optische Effekte lassen sich gebogene Lichtwege beobachten, beispielsweise nahe von großen Massen im Weltall. Denn tatsächlich wird Licht durch Gravitation beeinflusst. Auf der Erde ist dieser Effekt jedoch vernachlässigbar.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/hinter-den-dingen/wie-entsteht-eine-fata-morgana/