„Exoplaneten sind keine zweite Chance“
Sebastian Hollstein
Wie entstand die Erde? Und warum gibt es auf ihr Leben? Es sind die ganz großen Fragen, die Tim Lichtenberg ziemlich weit ins Universum blicken lassen. In viele Lichtjahre entfernten Planetensystemen sucht der 34-jährige Astrophysiker – seit 2022 Assistant Professor an der Universität Groningen – nach Antworten. Hier erforscht er, wie die Wechselwirkungen zwischen dem Inneren von Gesteinsplaneten und ihrer Atmosphäre eine lebensfreundliche Umgebung begünstigt haben könnten. Warum die Beschäftigung mit weit entfernten Welten den Blick auf die eigene schärft, erklärt Tim Lichtenberg im Interview.
Welt der Physik: Herr Lichtenberg, haben Sie ein Teleskop?
Tim Lichtenberg: Nein, ich habe noch nie eins besessen und schaue tatsächlich selten durch eines. Ich kann verstehen, dass Leute sich dafür begeistern, in die Sterne zu blicken. Und wer in einem Feld wie ich unterwegs ist, sollte sich da auch schon einigermaßen auskennen. Aber ich bin tatsächlich auf anderem Weg zur Astronomie gekommen.
Woher stammt Ihre Begeisterung dann?
Ich habe mich schon während meiner Jugend intensiv mit klassischen philosophischen Fragen wie: „Warum sind wir hier?“ oder „Warum ist die Welt, warum ist das Universum so, wie es ist?“ beschäftigt. Populärwissenschaftliche Bücher – etwa von Stephen Hawking – haben mir dann einen Weg gewiesen, Antworten darauf in der Physik und Astronomie zu suchen.
Haben Sie in der Erforschung von Exoplaneten welche gefunden?
Zumindest komme ich dem näher. Der enorme Anstieg der Anzahl bekannter Exoplaneten führt dazu, dass wir anfangen, unsere Erde in Zusammenhang mit anderen Planetensystemen zu verstehen. Hoffentlich erhalten wir dadurch auch Informationen darüber, wie die Erde zu einem Planeten wurde, auf dem Leben möglich ist. Damit habe ich für mich eine Möglichkeit gefunden, an übergeordneten Fragestellungen zu arbeiten, die prinzipiell losgelöst sind von Politik, Gesellschaft oder Ansichten. Natürlich sind Interpretation und Folgen von Forschungsergebnissen immer daran gebunden – aber die Natur schert sich nicht darum. Auch wenn das einschüchternd wirken kann, finde ich den Gedanken sehr befreiend, dass unsere kulturellen Probleme für das Universum völlig unbedeutend sind. Und wir wissen so wenig! In der Schule und an der Universität wird häufig das Gefühl vermittelt, dass wir als Menschheit schon so viel Wissen angesammelt haben und so viele Dinge durchblicken. Das Gegenteil ist der Fall: Wir verstehen noch so unglaublich wenig. Das ist für mich ein Ansporn – es gibt so viel zu entdecken und zu verstehen in unserem praktisch grenzenlosen Universum.
Welche konkreten Fragen haben Sie in letzter Zeit beschäftigt?
Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen haben wir kürzlich erforscht, dass intensiv bestrahlte Supererden – also Exoplaneten, die der Erde ähneln aber etwas größer sind – in einen starken Klimawandel eintreten. Das liegt daran, dass sie sehr viele flüchtige Elemente beinhalten: Moleküle wie etwa Wasser und Kohlendioxid, die leicht verdampfen und somit Atmosphären formen können. Deren Treibhauseffekt kann eventuell dafür sorgen, dass die Planetenoberfläche aufgeschmolzen ist – sie besteht aus flüssiger Lava. Wir haben gezeigt, dass die Eigenschaften der erdähnlichen Planeten, die wir bisher kennen, unter anderem damit erklärt werden können, dass sie sehr große Wassermengen in sich tragen. Das ist aus zwei Gründen interessant: Zum einen zeigen wir, wie Moleküle, die eine Atmosphäre entstehen lassen, in Exoplanetensystemen verteilt sind. Und zum anderen können wir daraus etwas über die Vergangenheit unseres Sonnensystems lernen. Wenn diese Planeten aufgeschmolzen und extrem heiß sind – teils über 1700 Grad Celsius –, dann ähneln sie dem Ursprungszustand der frühen Erde an einem Wendepunkt ihrer Geschichte: kurz nach der Kollision, die den Mond erschaffen hat. An diesen Planeten können wir daher einige Grundprinzipien der irdischen Physik und Chemie testen, die wir auf planetaren Skalen bisher nicht verstehen.
Solche Ergebnisse sind das Resultat vieler Stunden Arbeit. Wie sieht auf dem Weg dahin Ihr Forschungsalltag aus?
In der Regel sitze ich am Computer, schreibe Programme und nutze physikalische Simulationen und Gesetzmäßigkeiten, um Planeten zu beschreiben. Hinter den meisten Forschungsergebnissen steckt heutzutage intensive Teamarbeit. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen versuche ich, durch ein ständiges Wechselspiel zwischen astronomischen Beobachtungen und Laborexperimenten, aus denen wir etwa die Gesteinszustände im Inneren von Planeten ableiten, die Entwicklung von Planeten abzubilden. Die daraus hervorgegangenen Theorien überprüfen wir dann an neuen Daten. Auf diese Weise finden wir heraus, ob erdähnliche und terrestrische Planeten – wie Mars oder Venus – generellen Gesetzmäßigkeiten unterliegen oder ob der Zufall einen starken Einfluss auf ihre Entwicklung hat.
Vor einigen Monaten wurden Sie zum Assistant Professor an der Universität Groningen berufen, was in der Regel jede Menge Managementaufgaben mit sich bringt: Anträge, Projekte, Personalverantwortung. Finden Sie da noch genug Zeit, selbst aktiv zu forschen?
Das ist ein Problem, mit dem sich vermutlich die meisten Kolleginnen und Kollegen in der Wissenschaft spätestens nach der Promotion konfrontiert sehen. Ich habe natürlich keinen direkten Vergleich, aber ich denke, es ist in den vergangenen Jahrzehnten schwieriger geworden, die zeitliche Balance zwischen Forschungs- und Verwaltungsaufgaben zu wahren, vor allem im Universitätssystem. Mir ist das aber wichtig. Ich versuche, mir konkret Zeit freizuhalten, um selbst zu forschen und technische Fertigkeiten wie das Programmieren zu trainieren und weiter zu entwickeln.
Wie halten Sie dabei die Leidenschaft für die Forschung aufrecht?
Sobald ich ein paar Stunden oder Tage mehr Zeit dafür habe, bin ich relativ schnell wieder drin. Außerdem bewahrt es die eigene Faszination, wenn ich meine Arbeit im direkten Gespräch den Menschen in meinem Umfeld erkläre. Viele sind sehr interessiert daran, wie das Universum funktioniert, wie das Leben entstanden ist oder ob es andere bewohnte Welten gibt. Und das Thema ist ja überall präsent, zum Beispiel durch Science-Fiction-Filme. Allerdings wird dadurch nicht immer ernst genommen, dass man sich diesen Fragen wissenschaftlich nähern kann – und dass wir als Gesellschaft wirklich Fortschritte in diese Richtung machen.
Interessieren Sie sich für Science-Fiction?
Sicher. Wissenschaft und Science-Fiction bereichern sich gegenseitig. Bücher und Filme eröffnen vielen Menschen einen Zugang, um Wissenschaft zu entdecken. Ich lese heute auch selbst noch ab und zu Science-Fiction Romane. Auf wissenschaftlicher, kultureller und philosophischer Ebene interessante Bücher, die ich in letzter Zeit gelesen habe, waren beispielsweise „Seveneves“ von Neal Stephenson und „Children of Time“ von Adrian Tchaikovsky.
In beiden Romanen suchen die Menschen ihr Glück im All oder auf fernen Planeten, da die Erde keine lebenswerte Umwelt mehr bietet. Sie selbst twittern aktiv zum Thema Klimawandel. Verändert die Beschäftigung mit lebensfreundlichen Planeten den Blick auf die Erde?
Auf jeden Fall. Es ist mehr als erstaunlich, dass die Erde so lebensfreundlich ist. Hier herrscht ein sehr fragiles Gleichgewicht. Und die Hand an ein solches System zu legen, ohne zu wissen, welche langfristigen Folgen damit verbunden sind, ist gefährlich. Ich bin kein Experte für den Klimawandel auf der Erde. Aber die Vorhersagen der Kolleginnen und Kollegen, die in diesem Fachbereich jahrzehntelang gearbeitet haben, zeigen genau, in welche Richtung wir uns bewegen. Die Wissenschaft sollte ihren Konsens an die Gesellschaft weiterleiten. Und wenn Entscheidungsträgerinnen und -träger gegen sehr eindeutige Evidenz agieren, tragen wir die Verantwortung, diese Informationen stärker und lauter zu vermitteln. Denn eines ist klar: Exoplaneten können uns möglicherweise den Spiegel vorhalten und uns den Verlauf und die Folgen physikalischer Prozesse aufzeigen. Aber sie werden niemals als zweite Chance dienen.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/im-portraet/tim-lichtenberg-exoplaneten-sind-keine-zweite-chance/