Jahresrückblick 2022

Redaktion

Im Hintergrund ist ein Sternenhimmel abgebildet, im Vordergrund befinden sich große, zusammenhängende Wolken.

NASA/ESA/CSA/STScl

Auch dieses Jahr ereignete sich viel in der Welt der Physik: Der Large Hadron Collider am Forschungscentrum CERN wurde wieder in Betrieb genommen, das James-Webb-Teleskop lieferte erste Aufnahmen aus dem Weltall und ein Meilenstein in der Forschung zur Kernfusion wurde erreicht. Hier blicken wir auf diese und weitere Highlights aus dem Jahr 2022 zurück.

Beschleuniger wieder in Betrieb

Nach einer etwa dreijährigen Pause für Umbauarbeiten ging der derzeit größte Teilchenbeschleuniger der Welt, der Large Hadron Collider am Forschungszentrum CERN – kurz LHC –, dieses Jahr wieder in Betrieb. Seit April werden im LHC wieder Protonen – die positiv geladenen Bausteine der Atomkerne – auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt, in den großen Detektoren stoßen die Protonen dann zusammen. Die Energien, die bei solchen Kollisionen frei werden, sind so hoch, dass die Protonen nicht nur zerstört werden, sondern auch neue Teilchen entstehen. Deren Spuren lassen sich wiederum in den Detektoren nachverfolgen und geben Aufschluss über die Welt der kleinsten Teilchen und die dort wirkenden Kräfte.

Eine lange Röhre verläuft in einem unterirdischen Tunnel

Large Hadron Collider

In der aktuellen dritten Betriebsphase – dem sogenannten Run 3 – liefert der LHC nun mit einer noch höheren Kollisionsenergie und verbesserten Detektoren enorme Datenmengen. „Die höhere Energie erhöht die Rate, mit der schwere Teilchen – wie beispielsweise das Higgs-Boson – entstehen. Außerdem wird die Suche nach neuen Teilchen in einem zusätzlichen Massenbereich ermöglicht, der bislang nicht zugänglich war“, berichtet Andreas Hoecker vom Forschungszentrum CERN im Interview über das neue Potenzial des Teilchenbeschleunigers.

Doch nicht nur am CERN untersuchen Teilchenphysiker die fundamentalen Bausteine unseres Universums. Im April stellte ein Experiment am Forschungszentrum Fermilab nahe Chicago die etablierten Theorien der Teilchenphysik erneut auf die Probe: Eine hochpräzise Messung eines bestimmten Elementarteilchens des Standardmodells der Teilchenphysik – des sogenannten W-Bosons – ergab, dass seine Masse etwas schwerer war als erwartet. Das könnte sogar Hinweise auf bisher unbekannte und unentdeckte Teilchen liefern. Doch trotz der hohen Genauigkeit muss die gemessene Abweichung vom Standardmodell zunächst noch von anderen Teilchenexperimenten bestätigt werden.

Aufnahmen aus dem Universum

Das nächste Highlight des Jahres lieferte dagegen keine Hinweise auf neue Physik, sondern bestätigte bereits etablierte Theorien – allerdings aus einem ganz neuen Blickwinkel. Denn im Mai dieses Jahres wurde das Schwarze Loch im Zentrum unserer Milchstraße erstmals abgelichtet. Astronomen sind sich bereits seit den 1990er-Jahren sicher, dass sich im Zentrum der Milchstraße ein supermassereiches Schwarzes Loch befindet. Damals wiesen Reinhard Genzel vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching und seine Kollegen das Schwarze Loch namens Sagittarius A* über die Bewegung von Sternen in der Nähe des galaktischen Zentrums nach. Denn die Sterne werden von den etwa vier Millionen Sonnenmassen des Schwarzen Lochs angezogen, wie der Nobelpreisträger in unserem Podcast berichtet.

Vor einem dunklen Hintergrund zeichnet sich ein verschwommener, hell leuchtender Ring ab.

Erste Aufnahme von Sagittarius A*

Die sensationelle Aufnahme von Sagittarius A* gelang mit dem „virtuellen“ Event Horizon Telescope – einem Zusammenschluss aus mehreren Radioteleskopen auf der gesamten Welt, darunter ALMA und APEX in Chile sowie weitere Observatorien in Europa, Hawaii und am Südpol. Dieses als Interferometrie bezeichnete Verfahren ermöglichte eine deutlich höhere Auflösung als die Einzelteleskope und damit auch das spektakuläre Bild des Zentrums unserer Milchstraße. Doch die Aufnahme zeigt nicht das Schwarze Loch selbst. Denn aufgrund seiner großen Anziehungskraft können weder Licht noch Materie dem Schwarzen Loch entkommen. Stattdessen lässt sich der sogenannte Schatten von Sagittarius A*, der von einem hellen Ring aus aufgeheiztem Gas umgeben ist, erkennen.

Kurz darauf sorgten weitere astronomische Aufnahmen für großes Aufsehen: Das James-Webb-Teleskop, das Ende letzten Jahres ins Weltall startete, lieferte im Juli die ersten, lang ersehnten Farbbilder sowie spektroskopische Daten aus dem fernen Universum. Das neue Weltraumteleskop beobachtet den Himmel im Nah- und Mittelinfrarotbereich – also bei Wellenlängen, die etwas länger sind als im Fall des sichtbaren Lichts. Verglichen mit seinem Vorgänger, dem Hubble-Weltraumteleskop, ist es dabei hundertfach empfindlicher und kann so auch sehr leuchtschwache Objekte aufspüren. Dazu zählen beispielsweise Galaxien im frühen Universum, die bereits kurz nach dem Urknall entstanden. Ebenso lässt sich die Entstehung und Entwicklung von Sternen und extrasolaren Planeten mit dem neuen Weltraumteleskop verfolgen. Und auch unser eigenes Sonnensystem nimmt es in den Blick.

Erste Aufnahmen des James-Webb-Teleskops

Planetarischer Nebel

NASA/ESA/CSA/STScI

Rund 2500 Lichtjahre von uns entfernt befindet sich der Planetarische Nebel NGC 3132 – eine ausgedehnte Gas- und Staubwolke, die einen alternden Stern umgibt. Diese beiden Aufnahmen stammen von zwei unterschiedlichen Kameras an Bord des James-Webb-Teleskops. Künftig wollen Astronomen mit dem Infrarotteleskop unter anderem erforschen, welche Moleküle in Planetarischen Nebeln wie NGC 3132 vorhanden sind.

Sternentstehungsgebiet im Carinanebel

NASA/ESA/CSA/STScI

Mit den neuen Aufnahmen im infraroten Licht gelang ein Blick auf einzelne Sterne sowie Sternentstehungsgebiete im Carinanebel, die von Staub verhüllt sind – und damit im sichtbaren Licht verborgen bleiben. Das hier abgebildete junge Sternentstehungsgebiet namens NGC 3324 befindet sich etwa 7600 Lichtjahre von uns entfernt.

Stephans Quintett

NASA/ESA/CSA/STScI

Aus fast tausend einzelnen Bilddateien wurde diese Aufnahme von Stephans Quintett zusammengesetzt – einer Gruppe aus fünf Galaxien. Tatsächlich liegen aber nur vier der Systeme nah beieinander und treten miteinander in Wechselwirkung. Während diese Galaxien rund 290 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt sind, sind es bei dem fünften System nur 40 Millionen Lichtjahre. Mit solchen Aufnahmen hoffen die Astronomen auf neue Erkenntnisse darüber, wie die Interaktion zwischen einzelnen Galaxien deren Entwicklung beeinflusst.

Galaxienhaufen SMACS 0723

NASA/ESA/CSA/STScI

Das James-Webb-Teleskop lieferte mit dieser Aufnahme das bisher tiefste und schärfste Infrarotbild des fernen Universums: Tausende von Galaxien – darunter die lichtschwächsten Objekte, die jemals im Infrarotbereich beobachtet wurden – lassen sich hier erkennen.

Atmosphäre des Gasplaneten WASP-96b

NASA/ESA/CSA/STScI

Mit dem James-Webb-Teleskop spürten Astronomen deutliche Spuren von Wasser in der Atmosphäre des heißen Gasriesen WASP-96b auf, der einen sonnenähnlichen Stern umkreist. Möglich werden solche Messungen, wenn Sternlicht durch die Planetenatmosphäre dringt und die dort enthaltenen Atome und Moleküle einzelne Wellenlängen aus dem Licht herausfiltern. Künftig wollen Wissenschaftler auch Hunderte von anderen Systemen untersuchen, um mehr über diese fernen Welten zu erfahren.

Verschränkte Teilchen und Quantentechnologien

Doch nicht nur die großen Strukturen in unserem Universum sind für Forscher interessant. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts entdeckten Physiker, dass sich kleinste Teilchen wie etwa Atome vollkommen anders verhalten, als wir es aus unserem Alltag kennen. Erst die Theorie der Quantenmechanik – entwickelt von Werner Heisenberg, Erwin Schrödinger und anderen Physikern – lieferte Konzepte, um die Vorgänge in dieser Quantenwelt zu beschreiben. Gemäß der Quantenmechanik können Teilchen beispielsweise miteinander verschränkt sein, wodurch bestimmte Eigenschaften miteinander verknüpft sind und sie sich nicht mehr unabhängig voneinander beschreiben lassen. Zudem werden die Eigenschaften eines Quantenteilchens erst durch eine Messung festgelegt.

Das Bild zeigt den experimentellen Aufbau eines Quantencomputers.

Quantencomputer

Die Erforschung von solchen Quantenphänomenen wurde mit dem diesjährigen Nobelpreis geehrt. Alain Aspect von der Universität Paris-Saclay und der École Polytechnique in Frankreich, John F. Clauser von J.F. Clauser & Assoc. in Walnut Creek in den USA und Anton Zeilinger von der Universität Wien wurden im November für ihre bahnbrechenden Experimente ausgezeichnet, mit denen sie in den vergangenen Jahrzehnten die Gesetzmäßigkeiten der Quantenmechanik immer wieder überprüften und bestätigten. Ihre Ergebnisse revolutionierten nicht nur die Physik, sondern bereiteten auch den Weg für neue Technologien, mit denen sich Quantenzustände kontrollieren lassen und ganz neue Anwendungen ermöglicht werden – von der Quantensensorik, über Quantencomputer bis hin zur Quantenkryptographie.

Unzureichender Klimaschutz

Im vorherigen Jahr wurde der Nobelpreis an zwei Physiker verliehen, die schon vor mehr als einem halben Jahrhundert wichtige Pionierarbeit für die Klimaforschung geleistet und die Klimamodellierung entscheidend vorangetrieben haben – darunter der Beweis, dass die aktuelle Erderwärmung nicht natürlichen Ursprungs ist, sondern menschengemacht. Und auch dieses Jahr haben der Klimawandel und seine Folgen das Leben auf der Erde geprägt. Im Sommer führten ungewöhnlich starke Regenfälle in Pakistan zu katastrophalen Überflutungen. Die Folgen solcher Hochwasserkatastrophen sind verheerend. Daher erforschen Wissenschaftler wie Bruno Merz vom Deutschen GeoForschungsZentrum die Ursachen der Extremereignisse. „Durch den Klimawandel erhöht sich die Temperatur der Atmosphäre. Sie kann deshalb mehr Wasser aufnehmen – pro Grad Erwärmung etwa sieben Prozent mehr Wasser. Dadurch können Regenfälle intensiver werden“, berichtet Merz im Interview. Auch globale Strömungsmuster wie etwa der polare Jetstream verändern sich mit dem Klimawandel – was wiederum die Wetterlage beeinflusst. Wie genau die globalen Strömungsmuster in Zukunft allerdings aussehen werden, lässt sich bislang nur schwer vorhersagen.

Verschmutztes Wasser eines überfluteten Flusses mit Berglandschaft.

Hochwasserkatastrophe in Pakistan

Um diese und weitere verheerende Auswirkungen des Klimawandels zu begrenzen, tagten im November Vertreter aus aller Welt auf der Klimakonferenz COP27. Im Mittelpunkt standen Maßnahmen für die nötige Emissionsreduktion von Treibhausgasen, um die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Doch die bisher von den einzelnen Staaten angestrebten Klimaziele reichen nicht aus, wie eine im November veröffentlichte Studie belegt. Die Klimamodelle zeigten vielmehr, dass spätestens bis zum Jahr 2050 die Erderwärmung 1,7 Grad Celsius oder sogar mehr betragen werde. Die Forscher sehen zwar noch Hoffnung in ihren Modellen, sofern die Klimaziele angepasst werden würden. Dennoch besteht ein sehr großes Risiko, dass die Folgen der höheren Erderwärmung – wie Gletscherschmelze, Meeresspiegelanstieg oder neue Dürrezonen – irreversibel sein werden. Laut Aussage der Forscher sei daher jetzt ein schnelleres Handeln nötig.

Asteroidenbeschuss und Mondmission

Gemessen an den schwerwiegenden Folgen des Klimawandels erscheint die Bedrohung durch einen Asteroideneinschlag auf der Erde aktuell als ein geringes Problem. Doch: „Ein Asteroideneinschlag ist zwar ein unwahrscheinliches, aber potenziell sehr folgenschweres bis katastrophales Naturereignis“, berichtet Sabina Raducan von der Universität Bern im Interview. Um auf ein solches Ereignis vorbereitet zu sein, startete die NASA gemeinsam mit der europäischen Weltraumorganisation ESA im November letzten Jahres die DART-Mission – kurz für Double Asteroid Redirection Test.

Die Rakete steht auf der Erde. Im Hintergrund ist der Mond am Himmel abgebildet.

Artemis 1

Am 27. September erreichte die Raumsonde ihr Ziel und schlug absichtlich mit hoher Geschwindigkeit in den Asteroiden Dimorphos ein, um ihn von seinem Kurs abzulenken. Zwar stellte Dimorphos keine Gefahr für die Erde dar, aber sollte ein Asteroid zukünftig die Erde bedrohen, ließen sich die Erkenntnisse aus diesem Test für eine Abwehr nutzen. Im Jahr 2024 soll die Hera-Mission der ESA folgen und Dimorphos zwei Jahre später erreichen. „Mit Hera wollen wir dann die Bahnveränderung des Asteroiden genau vermessen und Daten zur Struktur und Zusammensetzung von Dimorphos sammeln“, so Raducan. Doch Aufnahmen des Kleinstsatelliten LICIACube, sowie Aufnahmen von Weltraumteleskopen und Teleskopen auf der Erde zeigten bereits, dass die Mission erfolgreich war und der Asteroid tatsächlich abgelenkt wurde – ein bislang einmaliges Ereignis in der Geschichte der Raumfahrt.

Neben DART machte ein weiteres Projekt der NASA dieses Jahr Schlagzeilen: Im Rahmen des Raumfahrtprogramms Artemis sollen nach fünfzig Jahren Pause erstmals wieder Astronauten auf dem Mond landen. Nach mehreren Verzögerungen startete am 16. November Artemis 1 – der erste, unbemannte Testflug der Mission zum Mond. In den darauffolgenden Wochen umrundete die Raumkapsel den Mond und landete am 11. Dezember wieder sicher auf der Erde. Mit Artemis 2 sollen dann in den kommenden Jahren wieder Astronauten den Mond umrunden und mit Artemis 3 das erste Mal nach Apollo 17 wieder auf dem Mond landen.

Durchbruch in der Kernfusion

Mit solchen Reisen zu anderen Himmelskörpern oder dem Blick ins Weltall mithilfe von Teleskopen gewinnen Forscher ständig neue Erkenntnisse über das Universum – so auch über unsere direkte kosmische Nachbarschaft und die Prozesse, die dort stattfinden. Besonders einen Prozess aus dem Inneren der Sonne – die Kernfusion – untersuchen Physiker schon seit Jahrzehnten mit dem Ziel, sich die Kernfusion auch auf der Erde zunutze zu machen und damit eine neue, besonders effektive Energiequelle zu erschließen. Denn durch die Fusionsprozesse im Inneren der Sonne, bei denen Wasserstoffkerne zu Heliumkernen verschmelzen, wird sehr viel Energie freigesetzt – und zwar deutlich effektiver als etwa bei der Verbrennung fossiler Energieträger. Ein einziges Gramm Wasserstoff könnte prinzipiell genauso viel Energie liefern wie rund zehn Tonnen Kohle.

Hohlraum mit einem Lichtstrahl

Fusionsexperimente mit Laserlicht

Doch es ist nicht einfach, die nötigen Bedingungen für Kernfusionen im Labor zu schaffen. Denn damit die positiv geladenen Atomkerne ihre elektromagnetischen Abstoßungskräfte überwinden und miteinander verschmelzen, müssen Temperaturen von über hundert Millionen Grad herrschen. In diesem Temperaturbereich geht Materie in einen Plasmazustand über: Die negativ geladenen Elektronen lösen sich aus der Atomhülle und bilden mit den nun ungebundenen Atomkernen ein heißes, elektrisch geladenes Teilchengemisch. Um ein solches Plasma stabil einzusperren, nutzen Forscher entweder Magnetfeldkäfige, wie an den Versuchsanlagen Wendelstein 7-X in Greifswald und dem ASDEX Upgrade in Garching, oder sie verwenden Laserlicht, um den Wasserstoff an Ort und Stelle zu halten.

Bereits im Januar 2022 gelang Forschern ein wichtiger Schritt mit dieser Laserfusion: Bei der Kernfusion der Wasserstoffkerne wurde so viel Energie freigesetzt, dass die entstandenen Heliumkerne selbst das Plasma weiter aufheizten. Prinzipiell wird damit mehr Energie freigesetzt, als für den Betrieb der Laser eingesetzt wurde – die Energiebilanz blieb dennoch negativ. Doch am 5. Dezember 2022 erreichten die Wissenschaftler erstmals eine positive Energiebilanz. Trotz dieses großen Erfolgs ist man von einem Fusionskraftwerk noch weit entfernt. Ob sich die Kernfusion tatsächlich für eine langfristige Energieversorgung auf der Erde eignet, bleibt daher noch weiter Gegenstand der Forschung.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/jahresrueckblicke/jahresrueckblick-2022/