Jahresrückblick 2024
Anne-Dorette Ziems
Polarlichter über Deutschland
Bereits zu Beginn des Jahres sorgten Aufnahmen von Polarlichtern bis in unsere Breiten für Furore. Auch wenn sie meist so schwach leuchten, dass sie sich nur auf langzeitbelichteten Fotos abbilden lassen – Polarlichter in Deutschland sind ein spektakuläres und zugleich seltenes Phänomen. Denn das Erdmagnetfeld lenkt die Teilchen zu den Polen hin ab. Dass das Leuchten nun hier zu sehen war, liegt an der derzeit hohen Sonnenaktivität. In ihrem elf Jahre dauernden Zyklus hat die Sonne im Oktober 2024 die Phase höchster Aktivität erreicht, wie die NASA und NOOA berichteten. Daher sendete sie in diesem Jahr vermehrt starke Sonnenwinde ins All – hochenergetische geladene Teilchen, die Polarlichter auf der Erde verursachen.
Doch schöne Fotos sind nicht die einzige Folge der hohen Sonnenaktivität. Satelliten können durch die Teilchen aus dem All Schaden erleiden. Einerseits können die geladenen Teilchen, die bei Sonnenstürmen auf Satelliten einprasseln, diese direkt beschädigen. Andererseits bereitete ein weiterer Effekt den Starlink-Satelliten in diesem Jahr Probleme: Sie sind nämlich in niedriger Höhe von um die 500 Kilometer über der Erdoberfläche unterwegs. Bei einem Sonnensturm dehnt sich die Atmosphäre aus, sodass die niedrigeren Satelliten mit mehr Luftteilchen und damit mehr Reibung konfrontiert sind. Dadurch sinken sie ab, verlassen ihre gewohnte Umlaufbahn und verlieren unter Umständen den Kontakt zu den anderen Satelliten der Konstellation.
Extremwetter durch Erderwärmung
Einige hundert Kilometer höher fliegen die Satelliten des Erdbeobachtungsprogramms Copernicus. Im November 2024 wurde bekannt, dass laut deren Daten das 1,5-Grad-Ziel dieses Jahr mit mindestens 1,55 Grad Celsius Erderwärmung erstmals überschritten werde. Zwar gilt die 1,5-Grad-Schwelle offiziell erst als gerissen, wenn dieser Wert im Vergleich zur vorindustriellen Zeit durchschnittlich in einem 20-Jahres-Zeitraum überschritten wird. Doch die CO2-Emissionen nehmen trotz aller Maßnahmen noch immer zu. Dafür ist es natürlich wichtig, den Beginn des menschengemachten Klimawandels zu definieren. Als Referenzzeitraum für die Konzentration des Treibhausgases CO2 – als Kohlendioxid bekannt – in der Luft wird oft der Zeitraum von 1850 bis 1900 genutzt. Doch laut einer Studie ist das zu ungenau. Denn im 19. Jahrhundert ist die CO2-Konzentration bereits angestiegen, da Menschen viel Kohle verfeuerten. Daher bezogen die Forschenden Daten vor dem Jahr 1700 in ihre Berechnungen ein. Daraus ermittelten sie eine Erderwärmung von 1,49 Grad Celsius für das Jahr 2023, in Einklang zu den Messdaten von Copernicus.
Neben höheren Temperaturen hat diese Erwärmung vielerlei Folgen: etwa häufigere Extremwetterereignisse wie Dürreperioden und extreme Regenfälle. Diese Ereignisse betreffen große Teile der Erde, besonders in dicht besiedelten Gebieten in den tropischen und subtropischen Regionen. In drastischer Geschwindigkeit wandelt sich auch die Arktis. So zeigen Klimasimulationen, dass schon in wenigen Jahren der erste eisfreie Tag im Arktischen Ozean auftreten könnte. Und, wie eine aktuelle Studie zeigt, beeinflusst die Eisschmelze sogar, wie schnell die Erde um ihre Achse rotiert.
Erforschung ferner Welten
Vom Blick auf unseren Planeten richten wir den Blick in die Ferne – genauer gesagt in eine andere Galaxie. Forschenden ist es mit dem Very Large Telescope Interferometer der Europäischen Südsternwarte ESO in Chile gelungen, die erste Nahaufnahme eines Sterns außerhalb unserer Galaxie zu machen. Der Stern WOH G64 liegt 160 000 Lichtjahre von uns entfernt in der Großen Magellanschen Wolke – einer Begleitgalaxie der Milchstraße. Er ist 2000-mal so groß wie die Sonne und stößt Gas und Staub aus, wie in den Daten zu sehen ist. Als nächstes wird er dann explodieren – es kommt zur Supernova.
Auch in unserer Galaxie ist einiges passiert. In der Erforschung unseres Sonnensystems drehte sich in diesem Jahr vieles um das Thema Wasser. So ist Forschenden bei Analysen unserer Nachbarplaneten aufgefallen, dass die Venus auf bisher unbekannte Weise vermutlich etwa doppelt so viel Wasser verliert wie gedacht. Ein weiteres Team wertete Daten der Marssonde InSight der NASA aus und stieß dabei auf ein Wasserreservoir in der Marskruste.
Auch auf den Monden der riesigen Gasplaneten ist Wasser ein großes Thema. Unter einer dicken Eisschicht verbirgt sich auf dem Saturnmond Enceladus ein gigantischer Ozean. Doch die Eisschicht ist alles andere als ruhig: Am Südpol schießt Enceladus Fontänen aus Eiskristallen kilometerweit ins All hinaus. Eine Forschungsgruppe hat jetzt mit Computersimulationen herausgefunden, dass Gezeitenkräfte die Fontänen beeinflussen. Auch drei der um Jupiter kreisenden Monde sind eisige Welten: Europa, Ganymed und Kallisto. Dorthin ist mit Europa Clipper am 14. Oktober eine NASA-Mission aufgebrochen. Sie wird etwa zeitgleich mit der Raumsonde JUICE der ESA, die bereits im Vorjahr gestartet ist, Jupiter und seine Monde erreichen und sich auf Europa konzentrieren.
Die Geheimnisse der Dunklen Materie und Dunklen Energie
Ebenfalls bereits im Vorjahr ins All gestartet ist das Euclid, ein Weltraumteleskop der ESA. Nun hat es am 14. Februar 2024 mit seiner Himmelsdurchmusterung begonnen und soll innerhalb von sechs Jahren eine detaillierte Karte von etwa einem Drittel des Nachthimmels anfertigen. Dadurch soll es helfen, die Rätsel um die Dunkle Materie und Dunkle Energie zu lösen. Bereits die ersten Testaufnahmen des Teleskops haben spektakuläre Erkenntnisse zutage gebracht: mehr als anderthalb Billionen freischwebende Sterne zwischen den Galaxien des Perseushaufens.
Im Oktober 2024 hat die ESA den ersten Teil der Karte des Universums veröffentlicht – ein Mosaik aus 260 Beobachtungen zwischen dem 25. März und dem 8. April dieses Jahres. Darauf sind Millionen von Sternen und Galaxien zu sehen. Das soll nun helfen, die Verteilung der Dunklen Materie im Universum zu ermitteln. Und es ist nur ein Prozent dessen, was Euclid noch beobachten und vermessen wird.
Bei der Frage, was sich hinter der Dunklen Materie verbirgt, gab es in diesem Jahr neue Erkenntnisse. Für Dunkle Materie-Teilchen kommen sogenannte WIMPs in Frage – „weakly interacting massive particle“, also schwach wechselwirkende massereiche Teilchen. Das sind hypothetische Teilchen, die so schwach mit normaler Materie interagieren, dass sie sich kaum detektieren lassen. Noch konnte niemand ein solches Dunkle-Materie-Teilchen aufspüren. Doch Physikerinnen und Physikern am LUX-ZEPLIN-Experiment ist es gelungen, den Massebereich eines solchen Teilchens einzugrenzen: Ein WIMP könne demnach höchstens etwa zehn Mal so schwer wie ein Proton sein.
Große Forschung an kleinen Teilchen
An nicht weniger fundamentalen Fragen forschen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Forschungszentrum CERN, das dieses Jahr sein 70-jähriges Jubiläum gefeiert hat. In dieser Zeit ist viel passiert: Das prominenteste Beispiel ist wohl der Nachweis des Higgs-Bosons mit dem Large Hadron Collider im Jahr 2012. Dieses Jahr stand jedoch ein anderes Teilchen im Rampenlicht – und zwar das W-Boson. Dessen Masse war bereits 2022 am Tevatron-Teilchenbeschleuniger in den USA bestimmt worden. Doch damals passte der Wert nicht zum Standardmodell – das W-Boson schien schwerer als es theoretisch hätte sein dürfen. Nun bestimmten Forschende am Large Hadron Collider die Masse des Teilchens neu – und zwar so präzise wie nie zuvor – und gaben Entwarnung: Die Masse des W-Bosons stimmt mit den Vorhersagen des Standardmodells der Teilchenphysik überein.
Neben der aktuellen Forschung richtet sich der Blick im CERN auch auf künftige Projekte – wie den High-Luminosity LHC. Das ist ein Upgrade für den Large Hadron Collider, wodurch dort statt heute 1,5 Milliarden Teilchenkollisionen pro Sekunde drei bis vier Mal so viele stattfinden können. Damit erhöhen sich die Chancen, seltene Phänomene zu beobachten. Auch eine sogenannte „Higgs-Factory“, mit der sich die besonders viele Higgs-Teilchen erzeugen und somit erforschen lassen, wird viel diskutiert. Aktuell arbeiten Physikerinnen und Physiker zudem an SHiP – Search for Hidden Particles, einem neuen Detektor für die Suche nach extrem schwach wechselwirkenden Teilchen.
Ebenfalls am CERN erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Antimaterie – das Gegenstück zur bekannten Materie. Doch eine neue Meldung erreichte die Öffentlichkeit in diesem Jahr von einem anderen Forschungszentrum. Am Brookhaven National Laboratory in den USA wurde der bisher schwerste Kern aus Antimaterie beobachtet – sogenannter Antihyperwasserstoff-4. Er besteht aus einem Antiproton, zwei Antineutronen, also den jeweiligen Antiteilchen des Protons und des Neutrons, und einem sogenannten Antilambda-Teilchen.
Auf dem Weg zur Kernuhr
An anderer Stelle kommen die Erkenntnisse über die Bausteine der Materie heute bereits zum Einsatz, nämlich bei Atomuhren, den präzisesten Zeitmessern, die es aktuell gibt. Derzeit handelt es sich in der Regel um Cäsium-Uhren. Sie sind so genau, da sie gewissermaßen sehr schnell ticken: Anstelle des Pendels bei einer Standuhr ist bei der Atomuhr die Frequenz der Strahlung maßgebend. Bei der Cäsium-Uhr sind das in der Regel Mikrowellen, die 9 192 631 770 Mal pro Sekunde schwingen. Sie regen dann ein Elektron in der Atomhülle von außen an, in einen höheren Energiezustand überzugehen. Kurze Zeit später fällt es wieder in den Ursprungszustand zurück. Eine solche Atomuhr geht erst nach einigen Millionen Jahren eine Sekunde falsch. Das ist extrem präzise, doch Forschende arbeiten bereits an einer noch genaueren Uhr – der Kernuhr.
In der Kernuhr soll statt der Atomhülle der Atomkern angeregt werden. Forschende haben bereits einen geeigneten Kandidaten für die Kernuhr im Visier: einen speziellen Kernübergang von Scandium, der sich mit einem Röntgenlaser anregen lässt. Laut Physiker Ralf Röhlsberger würde eine solche Scandium-Kernuhr nur alle 300 Milliarden Jahre eine Sekunde falsch laufen. Das übertrifft die Cäsium-Atomuhr also nochmal um Längen.
Nobelpreis für die Arbeit an neuronalen Netzen
Eine ganz andere technische Entwicklung revolutioniert derzeit die Informationstechnologie und unseren Alltag: Künstliche Intelligenz, kurz KI. Im Alltag nutzen viele vor allem generative KI, um Texte zu überarbeiten, zusammenzufassen oder zu erstellen. In Wissenschaft und Forschung werden KI-Programme vor allem für die Datenauswertung eingesetzt.
Für grundlegende Arbeiten in diesem Forschungsfeld erhielten die Wissenschaftler John Hopfield und Geoffrey Hinton den diesjährigen Nobelpreis für Physik. Seit den 1980er Jahren arbeiteten sie an künstlichen neuronalen Netzen, die für maschinelles Lernen eingesetzt werden und analog zum neuronalen Netz im Gehirn arbeiten. Ohne diese Forschung wäre das, was auch in Zukunft in Sachen Künstlicher Intelligenz zu erwarten ist, kaum möglich gewesen.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/jahresrueckblicke/jahresrueckblick-2024/