Nobelpreis für Physik 2022

Den Nobelpreis für Physik erhalten dieses Jahr Alain Aspect, John F. Clauser und Anton Zeilinger für ihre Arbeiten auf dem Gebiet der Quantenmechanik.

Dirk Eidemüller

Die Physiker Alain Aspect, John F. Clauser und Anton Zeilinger

© Nobel Prize Outreach/Illustration: Niklas Elmehed

Der Nobelpreis für Physik wird in diesem Jahr an Alain Aspect von der Universität Paris-Saclay und der École Polytechnique in Frankreich, John F. Clauser von J.F. Clauser & Assoc. in Walnut Creek in den USA und Anton Zeilinger von der Universität Wien „für Experimente mit verschränkten Photonen, Nachweise der Verletzung der Bell‘schen Ungleichung und Pionierarbeiten auf dem Gebiet der Quanteninformation” verliehen.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entdeckten Physiker, dass sich in der mikroskopischen Welt der Teilchen und Atome ein gänzlich anderes Verhalten als in der klassischen Welt zeigt. Erst die Theorie der Quantenmechanik – entwickelt von Werner Heisenberg, Erwin Schrödinger und anderen Physikern – lieferte Konzepte, um die Vorgänge in der Quantenwelt zu beschreiben. Gemäß dieser Theorie können Teilchen beispielsweise miteinander verschränkt sein, wodurch bestimmte Eigenschaften miteinander verknüpft sind und sie sich nicht mehr unabhängig voneinander beschreiben lassen. Zudem werden die Eigenschaften eines Quantenteilchens erst durch eine Messung festgelegt. Dadurch verändert die Messung an einem Teilchen unmittelbar den Zustand eines anderen mit ihm verschränkten Teilchens – egal wie weit beide voneinander entfernt sind. Damit wären gleich zwei Prinzipien der klassischen Physik nicht eingehalten, zum einen Lokalität – es gibt keine „spukhafte Fernwirkung“ – und zum anderen Realismus – die Eigenschaften der Gegenstände existieren unabhängig davon, ob wir sie messen.

Albert Einstein, der die quantenmechanische Verschränkung nur als „spukhafte Fernwirkung“ bezeichnete, lehnte diese nichtlokalen Eigenschaften der Quantentheorie ab. Gemeinsam mit Boris Podolsky und Nathan Rose veröffentlichte er im Jahr 1935 das als EPR-Paradoxon bekannte Gedankenexperiment, mit dem sie zeigen wollten, dass die Quantenmechanik keine vollständige Beschreibung der Realität darstellt. Eine bessere Theorie sollte diesen nichtlokalen Charakter laut der Physiker nicht mehr aufweisen, sondern die Messergebnisse von quantenmechanischen Zuständen auf bislang verborgene Variablen zurückführen.

Diese Vorstellung einer Theorie mit verborgenen Variablen lässt sich beispielsweise mit einer Maschine veranschaulichen, die zwei gegenüberstehenden Personen je einen roten beziehungsweise einen blauen Ball zuwirft. Fängt die eine Person einen roten Ball, weiß sie sofort, dass die andere Person einen blauen Ball gefangen hat. Die Bälle haben ihre Farbe gemäß Einstein damit schon vor dem Wurf, wodurch keine „spukhafte Fernwirkung“ zwischen den Bällen wirken würde. Im Gegensatz dazu verhält es sich laut den Gesetzen der Quantenmechanik vollkommen anders: Die Ballfarbe ist zunächst unbestimmt und wird erst zufällig festgelegt, sobald ein Ball gefangen wurde. Da die Bälle miteinander verschränkt sind, ist auch automatisch die Farbe des anderen Balls festgelegt.

Unter dem Titel "Verborgene Variablen" stehen zwei Personen jeweils rechts und links von einer Box. In der Box ist eine rote und eine blaue Kugel. Die Person A links der Box hat eine blaue Kugel in der Hand und eine Gedankenblase, in der steht: B = rote Kugel. Die Person B rechts der Box hält eine rote Kugel in der Hand. Über ihr befindet sich eine Gedankenblase, in der steht: A = blaue Kugel.

Unter dem Titel Quantenmechanik ist eine fast gleiche Grafik enthalten. Statt der eindeutig farbigen Kugeln in der Box sind dort zwei rot-blau schraffierte Kugeln mit einem Fragezeichen.

Verschränkung in der Quantenmechanik

Im Jahr 1964 gelang es dem irischen Theoretiker John Stewart Bell, diese philosophischen Fragen des EPR-Paradoxons in eine mathematische Gleichung zu übersetzen. Mit dieser nach ihm benannten Bell‘schen Ungleichung kann man Aussagen darüber treffen, wie stark die Messergebnisse an verschränkten Teilchen im Rahmen einer lokal realistischen Theorie miteinander korreliert sind. Damit lässt sich überprüfen, ob sich Quantenteilchen wie Objekte im Sinne der Quantentheorie verhalten oder ob sie doch lokale Zusatzeigenschaften im Sinne Einsteins aufweisen. Dank dieser bahnbrechenden Arbeit von Bell wurden die grundlegenden naturphilosophischen Fragen zur Quantenphysik experimentell unterscheidbar. Doch es dauerte noch einige Jahre, bis die Ideen von Bell experimentell untersucht wurden – und dabei spielten die diesjährigen Preisträger eine entscheidende Rolle.

Im Jahr 1974 führte John Francis Clauser, damals an der University of California in Berkeley, gemeinsam mit seinen Kollegen ein Experiment durch, das erstmals eindeutig auf eine Verletzung der Bell‘schen Ungleichung hinwies. Dafür untersuchten die Physiker die Polarisation – die Schwingungsrichtung – von verschränkten Photonenpaaren. Die Polarisation zeigte dabei aufgrund der Verschränkung in dieselbe Richtung, war zunächst aber unbekannt. Erst durch das unabhängige Messen der Polarisation der beiden Photonen – jeweils mit einem Polarisationsfilter – wurde diese bestimmt. Das Besondere an dem Versuchsaufbau war, dass Clauser und seine Kollegen den Winkel zwischen den beiden Polarisationsfiltern variierten. So stellten sie fest, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Photon durch den Filter hindurchging, von der Messung abhing, die an dem anderen Photon durchgeführt wurde. Damit wurde der Zufallscharakter der Quantenmechanik bestätigt und Albert Einsteins Vorstellung von einem lokalen Realismus widerlegt.

Auch Alain Aspect von der Universität Paris-Saclay beschäftigte sich in seinen Experimenten mit der Bell’schen Ungleichung. Gemeinsam mit seinem Team entwickelte er die experimentelle Methode von Clauser nochmals weiter und konnte 1982 abermals die von Einstein, Podolsky und Rosen postulierten verborgenen Parameter ausschließen. Der neue Aufbau des Experiments ermöglichte es, sogenannte „Schlupflöcher“ zu stopfen, um etwa externe Einflussfaktoren oder unbekannte Kräfte auszuschließen. Und seither werden derartige Experimente immer wieder weiterentwickelt, um noch mehr Schlupflöcher zu schließen – so auch im Jahr 1999 von Anton Zeilinger von der Universität Wien und seinen Kollegen Daniel Greenberger und Michael Horne.

Und auch mit weiteren Experimenten sorgten die Nobelpreisträger für Aufsehen. Beispielsweise gelang es Anton Zeilinger gemeinsam mit seinen Kollegen im Jahr 1997 erstmals, einen Quantenzustand zu teleportieren – eine Idee, die Physiker zu Beginn der 1990er-Jahre begannen zu diskutierten. In ihren Experimenten übertrugen Zeilinger und sein Team einen bestimmten Quantenzustand von einem Teilchen an einem Ort auf ein Teilchen an einem anderen Ort. Bei einer solchen Quantenteleportation geht der Zustand des Ursprungsteilchens verloren und das andere Teilchen nimmt diesen Zustand an.

Die drei Physiker werden somit für bahnbrechende Experimente ausgezeichnet, mit denen sie in den vergangenen Jahrzehnten die Gesetzmäßigkeiten der Quantenmechanik immer wieder überprüften und bestätigten. Ihre Ergebnisse revolutionierten nicht nur die Physik, sondern bereiteten auch den Weg für neue Technologien, mit denen sich Quantenzustände kontrollieren lassen und ganz neue Anwendungen ermöglicht werden – von der Quantensensorik, über Quantencomputer bis hin zur Quantenkryptographie.

Experimente zur Bell'schen Ungleichung

John Francis Clauser nutzte in seinen Experimenten Calciumatome, die Paare von verschränkten Photonen in entgegengesetzte Richtungen aussendeten. Die Polarisation – also die Schwingungsrichtung – der beiden Teilchen zeigte dabei aufgrund der Verschränkung in dieselbe Richtung, war zunächst aber unbekannt. Erst durch das unabhängige Messen der Polarisation der beiden Photonen – jeweils mit einem Polarisationsfilter – wurde diese bestimmt. Das Besondere an dem Versuchsaufbau war, dass Clauser und seine Kollegen den Winkel zwischen den beiden Polarisationsfiltern variierten. So stellten sie fest, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Photon durch den Filter hindurchging, von der Messung abhing, die an dem anderen Photon durchgeführt wurde. Damit wurde der Zufallscharakter der Quantenmechanik bestätigt und Albert Einsteins Vorstellung von einem lokalen Realismus widerlegt.

Von einem illustrierten Atom gehen Pfeile nach links oben durch einen vertikalen Spalt und nach rechts unten durch einen fast waagerechten Spalt. Am Ende der Pfeilspitzen ist jeweils eine der Spaltöffnung entsprechende Welle skizziert. An Knicken der Pfeile ist je ein Drehelement skizziert. Von dort gehen zwei weitere strichlierte Pfeile nach rechts oben durch einen beinahe vertikalen und links unten durch einen diagonalen Spalt. Hinter dem fast vertikan Spalt befindet eine nach schräg hinten geneigte Welle, ebenso wie hinter dem diagonalen Spalt, wobei letztere Welle etwas stärker geneigt ist.

© Johan Jamestad/The Royal Swedish Academy of Sciences

Gemeinsam mit seinem Team entwickelte Alain Aspect die experimentelle Methode von Clauser nochmals weiter. Es gelang ihnen, mehr Photonen zu detektieren und diese genauer zu vermessen. Außerdem entwickelten die Forscher einen Mechanismus, der die Einstellungen des Experiments automatisch variierte. So ermöglichte es der neue Aufbau des Experiments, sogenannte „Schlupflöcher“ zu schließen, um externe Faktoren oder unbekannte Kräfte als Einfluss auf das Messergebnis auszuschließen.

Im Vergleich zum vorigen Bild ist das skizzierte Atom in der Mitte durch einen Kristall ersetzt. Oberhalb des rechten Drehelemente befindet sich ein nach links gekippter Kreisel und oberhalb des linken Drehelements ein nach rechts gekippter Kreisel. Von den Kreiseln weisen Pfeile auf die Drehelemente.

© Johan Jamestad/The Royal Swedish Academy of Sciences

Auch Anton Zeilinger und seine Kollegen überprüften die Bell’sche Ungleichung mit weiteren Experimenten. Zur Erzeugung von verschränkten Photonen nutzten sie allerdings keine Atome, sondern spezielle Kristalle. Außerdem setzten sie weitere Mechanismen ein, um mögliche störende Einflüsse auszuschließen. In einem ihrer Experimente nutzten die Forscher beispielsweise Signale von weit entfernten Galaxien, um die Position der Filter zu steuern.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/nobelpreis/nobelpreis-fuer-physik-2022/