Kolloidale Kristalle und Kugelpackungen
Kolloide sind im Alltag allgegenwärtig. Forscher untersuchen, wie sich die kleinen Teilchen möglichst platzsparend anordnen lassen und welche Symmetrien den dabei entstehenden Strukturen zugrunde liegen.
Unter Kolloiden verstehen Physiker knapp einen Mikrometer große Teilchen, die sich fein verteilt in einem Trägermedium bewegen. Das Trägermedium kann zum Beispiel Wasser sein und die Kolloide kleine Fetttröpfchen oder zelluläre Bestandteile – wie das bei Milch beziehungsweise Blut der Fall ist. Die Teilchengrößen und -abstände liegen im Bereich von einigen hundert Nanometern und sind damit für die Beugung mit sichtbarem Licht zugänglich. Elektronen- und Lichtmikroskopie erlauben zudem einen direkten Blick auf die Anordnung der Kolloide.
Ein besonders beliebtes Modellsystem sind sogenannte Suspensionen aus elektrostatisch negativ geladenen Kugeln in salzarmem oder destilliertem Wasser. Mit zunehmender Konzentration der Kügelchen wird das Wasser zunächst stark milchig und trüb. Wie bei Nebel sieht man das gleichmäßig für alle Farben und in alle Richtungen zurück gestreute Licht. Bei hinreichend hoher Konzentration der Kolloide aber sieht man kleine Kristalle, die in bestimmten Farben schillern. Ein Blick durch das Mikroskop auf die Anordnung der Teilchen in diesen künstlichen Kristallen zeigt, dass sich die Schwebstoffteilchen auf regelmäßig angeordnete Gitterplätze begeben haben. Diese Gitterplätze nehmen zueinander den größtmöglichen Abstand bei gleichzeitig höchster Packungsdichte ein. Die Packungsdichte gibt dabei an, wie viel Volumen die Teilchen im Vergleich zum Gesamtvolumen ausmachen.
Wie packt man Kugeln möglichst platzsparend?
Eine interessante Frage ist nun, welche Kristallstrukturen bei diesen sehr einfachen und hoch symmetrischen Teilchen vorkommen. Da die Abstoßung der negativ geladenen Teilchen in alle Richtungen die gleiche ist, weisen Strukturen mit hoher Regelmäßigkeit – und damit großer Symmetrie – eine geringere Energie auf als unregelmäßige Strukturen und Zufallspackungen.
Eine ganz einfache Möglichkeit für eine symmetrische Anordnung wäre etwa ein kubisches Gitter, das aus vielen kleinen Würfeln zusammengesetzt ist, wobei die Teilchen ihre Plätze auf den Würfelecken haben. Neben der Symmetrie spielt aber auch eine effiziente Packung eine wichtige Rolle. Bereits Johannes Kepler argumentierte zu Anfang des 17. Jahrhunderts, dass die beste Möglichkeit, Kugeln platzsparend zu packen, durch ein sogenanntes kubisch-flächenzentriertes Gitter gegeben ist. Solch ein Gitter kann man sich als Würfel vorstellen, in dem die Kugeln nicht nur an den Würfelecken sitzen, sondern auch mittig auf den einzelnen Würfelflächen platziert sind.
Kristallstrukturen wie Orangenstapel
Um ganz praktisch zu sehen, wie sich Kugeln möglichst optimal anordnen, kann man beispielsweise über einen großen Wochenmarkt schlendern. Dort findet man oft kunstvoll angeordnete Stapel frischer Orangen oder Melonen. Guckt man sich diese Stapel genauer an, erkennt man, dass immer eine Orange in der Lücke von drei anderen Orangen in der Lage darunter liegt. In der dritten Lage hat man die Wahl, entweder eine noch unbenutzte Lücke zu wählen, oder die weitere Orange genau über einer aus der ersten Lage zu platzieren. Im ersten Fall ergibt sich eine sogenannte ABC-Stapelung, im zweiten Fall eine ABA-Stapelung. Jeder Kristallschicht ordnet man dabei einen Buchstaben zu, man beginnt mit Schicht A und je nachdem, wie sich die darauf folgenden Schichten in Bezug zur A-Schicht anordnen, werden sie mit dem Buchstaben B oder C versehen. Die ABC-Stapelung entspricht dem bereits erwähnten kubisch-flächenzentrierten Gitter, die ABA-Stapelung einer hexagonalen, also sechseckigen Anordnung.
Beide Packungen haben tatsächlich die größtmögliche mit Kugeln erreichbare Raumfüllung von 74 Prozent, wenn die Kugeln auf Stoß gepackt werden. Solche maximal raumfüllenden Anordnungen werden zum Beispiel bei Edelgaskristallen und vielen Metallen gefunden. Bei kolloidalen Kristallen treten für Volumenanteile größer als etwa dreißig Prozent regelmäßig diese dichtesten Kugelpackungen auf. Hier ist die äußere Form allerdings durch den Probenbehälter vorgegeben. Bei geringeren Konzentrationen spielt die Packung keine so wichtige Rolle, vielmehr wird wegen der dann weit reichenden Abstoßung eine Anordnung bevorzugt, bei der sich die Teilchen möglichst weit aus dem Weg gehen können, bei der aber gleichzeitig trotzdem eine hohe Symmetrie vorliegt. Hier findet man zumeist kubisch-raumzentrierte Strukturen, also würfelförmige Gitter, in denen die Teilchen neben den Würfelecken auch im Würfelzentrum selbst sitzen.
Kristalle in Kisten
Forschern der Universität Utrecht gelang es sogar, Kugeln von einem Mikrometer Größe in einem Gitter mit typischen Abständen von zwanzig Mikrometern zu stabilisieren. Aufgrund der großen Abstände sind diese Kristalle jedoch extrem weich und empfindlich. Sie können durch einfaches Schütteln zerstört werden, bilden sich aber sofort wieder neu aus, wenn die Suspension in Ruhe gelassen wird. Dies bietet große Vorteile, wenn man Grundsätzliches über Kristallisationsprozesse erfahren möchte, weil man hier die „Atome“ ganz bequem mit dem Mikroskop beobachten kann.
In einem vertiefenden Artikel erfahren Sie, wie sich Struktur und Eigenschaften der Kristalle verändern, wenn man sie nicht in einem großen Glasbehälter, sondern auf engstem Raum – also quasi eingesperrt zwischen zwei Wänden – züchtet.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/symmetrien/kolloidale-kristalle-und-kugelpackungen/