Kontinuierliche Symmetrien und das Noether-Theorem
Symmetrien bilden das Grundgerüst, auf dem viele physikalische Theorien beruhen. Dabei liegt unserer heutigen Vorstellung von Raum und Zeit ein enges Zusammenspiel von Symmetrien und fundamentalen Naturgesetzen zugrunde. Im Zentrum dieser Erkenntnis steht das sogenannte Noether-Theorem.
Symmetrien begegnen uns überall im Alltag. Betrachten wir beispielsweise die wunderbare Rotationssymmetrie der Rosetten über den Eingängen gotischer Kathedralen – von den Erbauern als Symbol für die Harmonie und Ordnung der von Gott erschaffenen Welt erdacht. Neben der Rotationssymmetrie gibt es auch andere Symmetrien des Raumes wie die Spiegelsymmetrie. So sehen wir Menschen im Wesentlichen symmetrisch aus, wenn man uns gedanklich an einer von Kopf zum Fuß laufenden Achse spiegelt. Der sich immer wiederholende Rhythmus der Jahreszeiten oder eines Musikstücks wiederum ist Ausdruck einer Symmetrie in der Zeit. Auch mathematische Symmetrien sind uns allen vertraut: So ist 1+2 = 2+1.
In der Physik drücken Symmetrien oft sehr einfache Beziehungen aus. Sie entfalten aber innerhalb physikalischer Theorien eine ungeheure Produktivität. Ganz allgemein ist ein physikalisches System symmetrisch, wenn Merkmale des Systems unter bestimmten Veränderungen gleich bleiben. Solche Veränderungen, wie beispielsweise Drehungen oder Spiegelungen, nennt man auch Transformationen.
Invarianz physikalischer Größen
Ein Beispiel, wie zunächst naiv anmutende Symmetrieforderungen fundamentale Gesetze der Physik generieren, formulierte 1915 die deutsch-jüdische Mathematikerin Emmy Noether. Sie ging von der schlichten Forderung aus, die Naturgesetze mögen zu jeder Zeit, an jedem Ort und in jeder Richtung im Universum gleich sein.
Natürlich sieht das Universum nicht überall und immer gleich aus, aber wir nehmen an, dass überall dieselben Gesetze gelten. Physiker sprechen auch in diesem Zusammenhang von Symmetrien, den sogenannten kontinuierlichen Symmetrien: Egal, ob man sich von einem beliebigen Ort oder einem beliebigen Zeitpunkt im Universum zu einem anderen bewegt – es gelten überall dieselben Gesetze. Hingen zum Beispiel die Naturgesetze von der Zeit ab, dann benötigte man eventuell heute weniger Energie, um Wasser um zehn Grad zu erwärmen als am nächsten Tag, und könnte aus diesem Unterschied Energie aus dem Nichts gewinnen. Eine solche Verletzung der Energieerhaltung wurde jedoch niemals beobachtet.
Aus der allgemeinen Forderung der Invarianz (Unveränderlichkeit) der Naturgesetze von Zeit, Ort und Richtung leitete Emmy Noether die Sätze von der Erhaltung der Energie, des Impulses und des Drehimpulses her, die ganz fundamental für unser Verständnis der Welt sind. Diese Symmetrien von Raum und Zeit sowie die ihnen entsprechenden Erhaltungssätze gehören heute zum Fundament der Physik. Und so schrieb Einstein 1935 in seinem Nachruf in der New York Times: „Fräulein Noether war das bedeutendste mathematische Talent ... seit die höhere Ausbildung von Frauen begann.“
Symmetrien gehen einher mit Erhaltungsgrößen
Emmy Noether hatte nämlich eine tiefe Verbindung zwischen geometrischen Eigenschaften des Raums und der Zeit einerseits und physikalischen Größen andererseits erkannt. Das nach ihr benannte Noether-Theorem wirft ein klares Licht auf den engen Zusammenhang zwischen Symmetrien und sogenannten Erhaltungsgrößen. Während sich bei einem physikalischen Prozess Größen wie die Position oder die Geschwindigkeit eines Objekts verändern, bleibt der Wert einer Erhaltungsgröße konstant.
Ein bekanntes Beispiel ist die Energieerhaltung: Wirft man einen Ball in die Luft, verringert sich seine Geschwindigkeit, bis er am höchsten Punkt für einen kurzen Moment zum Stehen kommt, bevor er wieder zu Boden fällt. Die Bewegungsenergie wandelt sich dabei in potenzielle Energie um und umgekehrt, aber die Gesamtenergie bleibt jederzeit konstant, solange man die Reibung mit der Luft vernachlässigt.
Das Konzept der Erhaltungsgröße ist für Physiker sehr wertvoll, denn mit konstanten Größen lassen sich Systeme zuverlässig beschreiben und viele Rechnungen vereinfachen. Neben diesem praktischen Aspekt hat das Noether-Theorem aber auch eine ästhetische Komponente: Symmetrien sind nämlich nicht einfach nur „hübsches Beiwerk“ der Natur, sondern viel mehr ein Grund dafür, warum die Naturgesetze in unserer Welt so sind, wie sie sind.
C-, P- und T-Symmetrien
Doch es gibt noch weitere Symmetrien des Raums, beispielsweise die Symmetrie gegenüber Spiegelungen, auch Paritäts- oder kurz P-Operationen genannt. Als Physiker 1956 feststellten, dass die Spiegelsymmetrie des Raums bei der schwachen Wechselwirkung – einer der vier fundamentalen Kräfte der Natur – zu hundert Prozent verletzt wird, waren sie verblüfft. Der tiefere Grund für diese Verletzung ist bis heute noch nicht verstanden.
Eine weitere und etwas anders geartete Symmetrie ist die Symmetrie unserer Welt gegenüber der Vertauschung von Materie und Antimaterie, also der Vertauschung von Teilchen und Antiteilchen. Diese Symmetrie wird auch Ladungskonjugations- oder einfach C-Symmetrie genannt. Trotz Paritätsverletzung, die zum Beispiel im sogenannten Wu-Experiment nachgewiesen wurde, schien zunächst eine Kombination von C- und P-Symmetrie, die CP-Symmetrie, eine Erhaltungsgröße zu sein. Doch 1964 kam der nächste Schock: Auch die kombinierte CP-Symmetrie ist verletzt, allerdings nur im Promillebereich. Darauf aufbauend erklärte der sowjetische Physiker Andrei Sacharov im Jahr 1965, wie durch die CP-Verletzung aus einem ursprünglich bezüglich Materie und Antimaterie symmetrischen Universum die beobachtete Dominanz von Materie über Antimaterie und damit unsere gesamte materielle Welt entstehen kann.
1955 fügte Wolfgang Pauli der C- und P-Symmetrie noch die Invarianz gegenüber Zeitspiegelungen, die sogenannte T-Symmetrie, hinzu. Ist ein System, zum Beispiel eine Teilchenreaktion, invariant unter Zeittransformationen, spielt es anschaulich für das System keine Rolle, ob die Zeit vorwärts oder rückwärts läuft.
Pauli führte die kombinierte CPT-Transformation ein und bewies die Invarianz allgemeiner Feldtheorien unter solch einer gemeinsamen Transformation. Feldtheorien stellen ein entscheidendes mathematisches Werkzeug der theoretischen Physik dar und beschreiben sehr grundlegend sowohl klassische als auch quantenphysikalische Effekte. Mit dem Beweis, dass die C-, P- und T-Symmetrien zwar nicht einzeln, aber doch in Kombination erhalten sind, war die Physik gerettet! Und tatsächlich wurde bis heute noch keine Verletzung der kombinierten CPT-Invarianz beobachtet.
In einem vertiefenden Artikel erfahren Sie, welche Symmetrien im Standardmodell der Teilchenphysik verborgen sind.
Emmy Noether war eine deutsche Mathematikerin, die Anfang des 20. Jahrhunderts als eine der Ersten den engen Zusammenhang zwischen Symmetrien in der Natur und physikalischen Erhaltungsgrößen wie Energie, Impuls oder Ladung erkannte: Zu jeder Erhaltungsgröße eines physikalischen Systems gehört eine Symmetrie, und umgekehrt geht mit jeder Symmetrie eine Erhaltungsgröße einher. Dieses sogenannte Noether-Theorem bildet seitdem einen Eckpfeiler der modernen theoretischen Physik.
Erhaltungsgrößen sind in der Physik wichtige Größen, die sich mit der Zeit nicht verändern. Dass in einem Experiment beispielsweise die Energie und der Impuls konstant sind, ist eine direkte Konsequenz aus der Erkenntnis, dass es egal ist, ob das Experiment an einem Montag in Hamburg oder einem Mittwoch in Honolulu stattfindet. Die Symmetrie bezüglich der Zeit führt hierbei zur Energieerhaltung und die Symmetrie bezüglich des Ortes zur Erhaltung des Impulses. Weitere Erhaltungsgrößen, wie die elektrische Ladung, lassen sich durch abstrakte Symmetrien in der quantenmechanischen Beschreibung von Teilchen herleiten.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/symmetrien/kontinuierliche-symmetrien-und-das-noether-theorem/