Symmetrien im Standardmodell

Thomas Naumann

Kreise symbolisieren elementare Teilchen des Standardmodells

Abstrakte Symmetrien liegen dem Aufbau des Standardmodells zugrunde und sogar die Kräfte zwischen den Elementarteilchen werden durch Symmetrien generiert. Der tiefere Grund für diese Symmetrien wurde bis heute noch nicht gefunden.

Das Standardmodell der Teilchenphysik bringt Ordnung in die elementaren Bausteine der Welt und in die Wechselwirkungen zwischen ihnen. Betrachten wir den Aufbau des Modells genauer: Die Elementarteilchen unterteilen sich in sogenannte Quarks und Leptonen, die die fundamentalen Bausteine darstellen, aus denen sich Materie zusammensetzt. Jeweils zwei Quarks und zwei Leptonen bilden eine Teilchenfamilie. Insgesamt gibt es drei dieser Familien, die sich durch die zunehmende Masse ihrer Elementarteilchen unterscheiden. Die Teilchenfamilien bilden anschaulich die Spalten des Standardmodells. In der ersten Spalte finden sich die Bausteine unserer Alltagswelt. Das sind die Up- und Down-Quarks als Komponenten von Proton und Neutron sowie das Elektron und sein Neutrino. Protonen und Neutronen setzen sich im nächsten Schritt zu Atomkernen zusammen, die von den Elektronen umkreist werden und zusammen mit ihnen die einzelnen Atome formen.

Zwölf Kreise symbolisieren die Elementarteilchen des Standardmodells: Sechs Quarks und sechs Leptonen sind jeweils in zwei Klassen und drei Teilchenfamilien angeordnet.

Symmetrien des Standardmodells

Die drei Familien bilden die erste offensichtliche Symmetrie des Standardmodells, denn entsprechende Teilchen innerhalb der verschiedenen Familien treten identisch miteinander in Wechselwirkung, auch wenn sich ihre Massen unterscheiden. Eine zweite Symmetrie findet sich zudem in den Zeilen des Modells: Die sechs Quarks und sechs Leptonen sind analog angeordnet und gliedern sich jeweils in eine obere und eine untere Zeile. Die Quarks unterliegen dabei der starken Wechselwirkung, also der fundamentalen Naturkraft, die für die Anziehung zwischen Proton und Neutron im Atomkern verantwortlich ist. Die Leptonen spüren die starke Wechselwirkung hingegen nicht.

Bei diesen einfachen Symmetrien, die sich in der Anordnung des Standardmodells finden, handelt es sich um sogenannte diskrete Symmetrien. Diese stehen den kontinuierlichen Symmetrien des Raums und der Zeit gegenüber, die bei der Beschreibung von Erhaltungsgrößen eine wichtige Rolle spielen. Übrigens hat man bisher für keine dieser Symmetrien im Schema der Bausteine der Welt eine fundamentale Erklärung gefunden. Physiker befinden sich damit heute in einer vergleichbaren Situation wie Robert Bunsen und Joseph Fraunhofer im 19. Jahrhundert. Die beiden Forscher beobachteten Spektrallinien des Sonnenlichts, konnten die in den Atomspektren enthaltenen Muster jedoch noch nicht entziffern. Das bedurfte der Arbeit mehrerer Generationen von Physikern.

Vom Elektromagnetismus zu den Quarks

Kann man an jedem Ort der Welt frei darüber verfügen, was ein Proton ist und was ein Neutron, findet sich also auch eine Symmetrie zwischen den Teilchen, die sich aus den einzelnen Quarks zusammensetzen? Um diese Frage zu beantworten, werfen wir zunächst einen Blick auf ein Alltagsphänomen des Elektromagnetismus, das scheinbar nicht viel mit den Symmetrien der Elementarteilchen zu tun hat – die sogenannte Eichfreiheit der elektromagnetischen Kraft: Ein Vogel kann friedlich auf einer Hochspannungsleitung sitzen, ohne die hohe Spannung in der Leitung zu spüren. Wie ist das zu erklären? Des Rätsels Lösung ist alt und beinhaltet in sich selbst schon eine Symmetrie. Dem Elektromagnetismus wohnt nämlich die fundamentale Freiheit inne, die elektrischen Potenziale an jedem Ort der Welt frei und willkürlich zu wählen. Das heißt, dass die Spannung für den Vogel erst dann lebensgefährlich wird, wenn dieser die Trennung zwischen Erdboden und Stromleitung aufhebt. Erst die Spannungsdifferenz zwischen zwei Punkten, also zum Beispiel Leitung und Boden, führt zu physikalisch sinnvollen Aussagen über das elektrische Potenzial. Man sagt daher auch, dass man Spannungen beliebig umeichen kann. Aus dieser sogenannten Eichinvarianz kann man tatsächlich den Elektromagnetismus in all seiner abstrakten Schönheit ableiten. Das ist ähnlich wie das Noether-Theorem ein weiteres Beispiel dafür, wie die Physik aus den der Natur innewohnenden Freiheiten fundamentale Gesetze ableiten kann, indem sie fordert, bestimmte abstrakte Symmetrien und Invarianzen einzuhalten.

Ein Vogel sitzt auf einer Hochspannungsleitung. Dieses Bild ist zwei Mal identisch nebeneinander angeordnet, der Unterschied ist, dass man die elektrische Spannung einmal auf der Leitung und einmal auf dem Erdboden auf Null gesetzt hat.

Eichfreiheit des Elektromagnetismus

Die anfangs gestellte Frage nach der Unterscheidbarkeit von Proton und Neutron stellte der Physiker Chen Ning Yang 1956, und diese Frage ist – wenn auch deutlich abstrakter – analog zu der des Vogels auf der Leitung. Aus Verallgemeinerungen der Eichfreiheit des Elektromagnetismus entstanden in den folgenden Jahrzehnten die sogenannten nicht-abelschen Eichtheorien und der theoretische und experimentelle Siegeszug des Standardmodells der Teilchenphysik begann. Heute fordern Physiker in Bezug auf das Standardmodell, dass die Theorie der elektroschwachen Kraft invariant ist gegen eine Vertauschung der Konvention, was ein Up-Quark ist und was ein Down-Quark. Hier findet sich also eine weitere versteckte Symmetrie des Standardmodells.

Genau wie im Elektromagnetismus generieren diese abstrakten Symmetrien die Dynamik der schwachen und starken Kraft. Diese Erkenntnis ist eine großartige Leistung menschlichen Denkens. Der Physiker Ludwig Boltzmann, der mit seiner statistischen Mechanik die Brücke zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos schlug, zitierte in seinem Vorwort zu Maxwells Elektrodynamik voller Bewunderung aus Fausts Monolog: „War es ein Gott, der diese Zeichen schuf?“ Angesichts der mathematischen Schönheit und Kraft einfachster Symmetrien mag uns heute daher ähnlich wie Boltzmann eine tiefe Bewunderung befallen: Symmetrien schaffen nämlich nicht nur Ordnung unter den Bausteinen der Welt. Auch die Struktur der Kräfte des Universums gehen aus reiner Symmetrie hervor!

Angetrieben vom Wunsch, die diversen Erscheinungsformen von Symmetrien in einem Konzept zusammenzufassen, haben Mathematiker das Konzept der sogenannten Gruppe entwickelt. Dazu ein einfaches Beispiel: Ein gleichseitiges Dreieck besitzt mehrere Symmetrien - Spiegelungen an den Symmetrieachsen durch den Mittelpunkt lassen die Form des Dreiecks ebenso unverändert wie Drehungen um 120 und 240 Grad. Diese Spiegelungen und Drehungen sind die Transformationen, die das Objekt „gleichseitiges Dreieck“ nicht verändern.

Diese Symmetrieoperationen fasst man nun zu einer abstrakten Struktur zusammen, die unabhängig vom speziellen Objekt ist. Eine derartige Struktur bezeichnet man in der Mathematik als Gruppe. Eine Gruppe abstrahiert von den Elementen der Gruppe und definiert die Transformationen zwischen den Elementen. Wichtig sind also beispielsweise nicht das Dreieck selbst, sondern die Spiegelungen und Drehungen, die seine Symmetrie charakterisieren.

Simulation eines sich in zwei Dimensionen bewegenden, gleichseitigen Dreiecks.Symmetrien eines gleichseitigen Dreiecks

Die Symmetrien eines gleichseitigen Dreiecks als Beispiel einer mathematischen Gruppe.

Neben geometrischen Objekten wie den Drehungen im Raum können die Elemente einer Gruppe auch Zahlen und andere abstrakte Transformationen oder Symbole sein. In jedem Fall ist immer eine Rechenvorschrift für die Elemente definiert. Bei Zahlen zum Beispiel ist diese Rechenvorschrift das gewöhnliche Addieren oder Multiplizieren. Die Rechenvorschrift muss aber speziellen Regeln genügen, Mathematiker nennen das dann Gruppenaxiome:

  • Die Verknüpfung von zwei Elementen über die Rechenvorschrift muss wieder ein Element der Gruppe sein. Dass die Summe zweier Zahlen zum Beispiel wieder eine Zahl ist, ist anschaulich klar.

  • Es muss ein Element geben, das bezüglich der Rechenanweisung nichts bewirkt. Das erfüllt beispielsweise die Null beim Addieren von Zahlen.

  • Es muss zu jedem Element ein inverses Element geben, das die Rechenvorschrift rückgängig macht. Der Bewegung „gehe einen Schritt nach rechts“ entspricht die Umkehrbewegung „gehe einen Schritt nach links“.

  • Für das Rechnen mit drei Elementen ist es egal, ob man zuerst zwei Elemente verknüpft und dann das dritte Element, oder ob man andersherum die letzten beiden Elemente zuerst verknüpft, bevor man das erste berücksichtigt. Dies ist das sogenannte Assoziativgesetz.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/symmetrien/symmetrien-im-standardmodell/